Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sternenschatten

Sternenschatten

Titel: Sternenschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
Frage, die mich interessierte, war, ob ich hier auf Hilfe rechnen durfte.
    Ein Verstand, welcher den des Cualcua übertrifft. Der konnte keinem Menschen gehören, davon musste ich ausgehen. Aber worum handelte es sich dann? Um ein gigantisches Gehirn in einem Kristalltank? Einen Computer in einem See aus Flüssighelium? Ein Plasma-Neuronen-System? Oder um eine Art künstlich geschaffenen Torpp? Das würde ich schon herausfinden. Wenn man mich nicht aus dem System gekippt oder getötet hatte, brauchte man mich anscheinend noch. Und sei es als Spielzeug. Als interessantes Tierchen, dem man einen Planenten als Käfig baut und Puppenmenschen gibt.
    Du irrst dich. Diese Menschen unterscheiden sich in keiner Weise von dir. Sie sind echt.
    Wahrscheinlich sollte ich mir die Ansicht des Cualcua zu Herzen nehmen. Gut, er war in Panik – aber trotzdem zwang ihn seine Natur, die Situation objektiv zu beurteilen.
    Aber ich konnte ihm nicht verzeihen … nein, nicht das Geständnis, dass er mich hätte töten können, nur um sich der unbekannten Kraft nicht zu offenbaren. Das verstand ich ja. Und ich war sogar bereit, das als intelligente und ethische Entscheidung zu akzeptieren.
    Dass er mich jedoch selbst erfasst hatte, stand auf einem anderen Blatt.
    Dabei interessierte den amöbenhaften Cualcua all das gar nicht. Weder meine kindlichen Ängste und Streitereien noch meine Komplexe oder meine Selbstüberwindung scherten ihn. All das war ihm genauso egal wie mir die Häutungsprobleme der Reptiloiden oder die Knospung der Daenlo. Vor einem Alien ist es nicht peinlich, seine Seele bloßzulegen – er selbst hat ja keine.
    Unangenehm ist es, sich an sich selbst zu erinnern. Sich zu erfassen.
    Sollte da unten, auf dem Boden meiner Seele, wirklich noch alles vorhanden sein? Die Angst vor Einsamkeit und Heimatlosigkeit? Die Scheu, das eigene Wesen zu offenbaren, die Bereitschaft, sich selbst zu verleugnen – und zu töten? War ich wirklich so?
    Denn so wollte ich nicht sein.
    Für mich war es auch nicht leicht. Vergiss das nicht. Ich habe auch meine Probleme.
    Ich legte den Kopf in den Nacken und schluckte das warme Wasser.
    »Gut. Schließen wir Frieden. Wagen wir eine Annäherung-an-den-Frieden, wie die Geometer sagen. Aber lass uns vereinbaren …«
    Der Cualcua ist einverstanden. Sobald du Hilfe brauchst, wirst du sie bekommen.
    Warum mein Symbiont plötzlich in der dritten Person von sich redete, blieb mir ein Rätsel. Vielleicht war ja das Herumgewühle in meiner Seele auch für ihn nicht ohne Folgen geblieben …
    »Auch Pjotr Chrumow ist einverstanden. Ich werde versuchen, alles über diese Welt in Erfahrung zu bringen. Damit du keine Angst mehr zu haben brauchst …«
    Die fremde Kleidung durchstöberte ich ohne Scheu. Der Cualcua hatte mit seiner Erfassung irgendwelche tief verankerten Hemmungen in mir abgebaut. Es gab viele Sachen, teilweise zu groß, teilweise eindeutig getragen. Trotzdem fand ich sowohl in Folie eingeschweißte Unterwäsche als auch recht neu aussehende Hosen und einen Pullover. Beides hatte eine eher düstere Farbe, dunkelgrün, aber damit musste ich leben. Es war halt Armeekleidung …
    Jetzt war ich bereit für den Alltag des Schattens.
    Fünf Minuten hantierte ich am Fernseher herum, leider erfolglos. Anscheinend funktionierte hier tatsächlich al les auf mentalen Befehl. Ein Hyxoid wäre vielleicht hinter die Sache gestiegen, sie haben schließlich eine vergleichbare Technologie. Mir jedoch blieb nichts anderes übrig, als bedauernd aufzugeben. Schade. Ein Weilchen vor demidiotischen Flimmerkasten zu verbringen – das ist zwar nicht der zuverlässigste, dafür aber ein sehr schneller Weg, um das Leben von Fremden kennenzulernen.
    Bücher gab es in dem Zimmer überhaupt keine. Weder elektronische wie bei den Geometern noch normale. Vielleicht kannte der Schatten ja keine Bücher, vielleicht war es aber auch nur ein persönliches Manko des toten Laid.
    Blieb mir also nur die Alltagskultur.
    In den Schubfächern des kleinen Tischs, dessen Zweck mir schleierhaft war, fand ich einen Packen Photos. Die einzige Gewissheit, die sie mir gaben, war die, dass die hiesigen Frauen sich nicht von denen auf der Erde unterschieden. Ich zählte sechs Freundinnen von Laid und legte den Stapel beiseite. Diese Art sexuellen Anschauungsunterrichts hatten wir bereits in der Schule absolviert.
    Ein kleines Gerät mit einer Mulde, in die eine transparente Plastikscheibe eingelegt war, konnte Gott weiß was sein.

Weitere Kostenlose Bücher