Sternenschimmer
nächsten Vormittag. Nur einmal konnte ich aus den Augenwinkeln heraus erkennen, dass er mich ansah. Doch als ich meinen Blick in seine Richtung bewegte, wandte er seinen sofort dem Arbeitsblatt auf dem Tisch zu.
Was sollte ich sagen? Was sollte ich tun?
»Er hat recht«, meinte ich schließlich, als Lena und ich das Schulgebäude verließen.
»Wer hat womit recht?«
»Iason. Er sagt, dass ich das alles nur tue, um mein Selbstbewusstsein aufzupolieren. Und das stimmt, zumindest teilweise.«
Lena blieb stehen. »Das glaub ich jetzt nicht. Mia Wiedemann lässt sich von einem dahergelaufenen Moralapostel verunsichern.« Als sie begriff, wie wenig sie mich damit aufmunterte, schwenkte sie um. »Hey«, versuchte sie es nun sanfter, »du hast seinen Stolz verletzt und jetzt will er es dir heimzahlen.« Sie legte den Arm um meine Schultern. »Wenn du mich fragst, hat er auf diese Gelegenheit nur gewartet. Sieh mal wieder klar, Mia. Nicht du hast ein Problem, sondern dieser arrogante Schönling.«
Ich seufzte in mich hinein. Eigentlich teilte ich all meine Sorgen mit Lena. Doch in diesem Fall war sie mit Sicherheit die Falsche. Sie würde es niemals zulassen, dass jemand mich in ein schlechtes Licht rückte. Und schon gar nicht, wenn dieser jemand auch noch ich selbst war.
In den nächsten Tagen verhielt ich mich sehr still. In der Schule und auch im Tulpenweg. Ich erledigte meine Hausaufgaben, ging Bert bei der Arbeit zur Hand, so gut ich konnte, und unternahm etwas mit den Kindern. Hope war nie dabei. Sie ging mit Finn und Iason täglich nach Port Ocean, dem kleinen Hafen an der Oststadt. Die beiden hatten ein altes Boot ergattert, welches sie wieder flottmachen wollten.
Mit Iason zu reden, war aus zweierlei Gründen unmöglich. Erstens: Ich traute mich nicht. Meine Angst vor einem weiteren verbalen Keulenschlag war einfach zu groß. Der zweite Grund war rein praktischer Natur: Iason ging mir äußerst geschickt aus dem Weg. Selbst wenn ich gewollt hätte, mir wäre es nicht gelungen, ihn allein anzutreffen. In der Schule mied er alle Orte, an denen ich mich aufhielt. Und nach dem Unterricht verließ er das Klassenzimmer schnell wie ein Schatten. Kurz vor Schulschluss holte er stets Hope ab und ging mit ihr zum Hafen. Dort trafen sie Finn, und die drei kehrten erst wieder zum Tulpenweg zurück, wenn meine Dienstzeit längst vorüber war.
Eine Sache ließ mich jedoch gelegentlich meinen Kummer ganz und gar vergessen. Und das war der leuchtende Schein, der jedes Mal durch die geschlossene Badezimmertür drang, sobald sich eines der Kinder abends darin fertig machte. Manchmal war es eher ein gleißendes Licht, dann wieder ein glitzerndes Schimmern, aber es war immer so voller Farben, jeder Regenbogen erschien blass dagegen. Was war nur unter den Halstüchern? Warum trug Iason keines? Dieses Geheimnis klopfte und pochte in mir. Und weshalb war niemand gewillt, es zu verraten?
Eines Nachmittags kehrten Finn und Hope schon früher aus Port Ocean zurück.
»Es ist fertig! Es ist fertig!« Hope stürmte in den Flur.
Aus allen Zimmern und Winkeln eilten wir herbei.
»Was ist fertig?«, fragte Bert.
»Mein Boot«, verkündete Hope stolz. »Kommt und seht es euch an.« Da war sie auch schon wieder hinausgelaufen.
»Warte, ich hole noch schnell die Schlüssel«, sagte Bert kurz entschlossen. Die anderen folgten ihr bereits zum Elektroschiff. Nur ich blieb zögernd auf der Treppe stehen.
Tony kam zurück und zog mich an der Hand. »Du auch, Mia.«
Finn zwinkerte mir zu. »Auf, gib dir einen Ruck.«
»Bitte.« Hopes flehender Blick kam aus tiefstem Herzen und überzeugte mich schließlich. Befangen und gerührt zugleich folgte ich ihnen.
»Schneller«, griffen Silas und Luna in konsequentem Meckerturnus Berts Flugweise an. »Das ist voll peinlich, wenn uns die anderen dauernd überholen.«
Doch auf diesem Ohr stellte Bert sich einfach taub. Wahrscheinlich müsste erst der Himmel auf die Erde stürzen, und gleichzeitig eine Sintflut über uns hereinbrechen, bevor er sich beim Fahren aus der Ruhe bringen ließ.
Schließlich erreichten wir Port Ocean, entgegen Silas’ Befürchtungen, doch noch vor Einbruch der Dunkelheit.
Als wir den Kai betraten, hielt ich inne und blinzelte mehrmals. Ich traute meinen Augen kaum. Ich hatte einen kleinen Holzkahn erwartet! Was ich indessen vorfand, glich einer mittelgroßen Segeljacht, die in voller Pracht auf den leichten Wogen schaukelte.
Iason kam aus der Kajüte, um uns zu
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