Sternenschimmer
zusammen. Die Augen, die schon viel zu viel gesehen hatten, klebten an meinen Lippen. Ihre Gesichter verrieten die Angst um Dornröschen, als es die Treppe zum verbotenen Turm hinaufstieg. Gebannt und mit gespitzten Ohren lauschten sie meinen Worten.
Iason war im Laufe des Märchens dazugekommen und wartete mit der Schulter an den Türrahmen gelehnt. Ich versuchte, gegen meinen schneller werdenden Puls anzukämpfen, wollte mich von ihm nicht aus der Ruhe bringen lassen, doch es gelang mir nur mäßig. Erst als Tony mit meinem Haar spielte, fingen die Kinder meine Aufmerksamkeit wieder ein. Dieser Moment gehört ihnen, rief ich mich zur Ordnung.
Iason nickte seiner Schwester zu. Sie kam näher und kniete sich an meine Seite.
»… Als der Prinz sie streichelte, schlug Dornröschen die Augen auf. Die Fliegen regten sich an der Wand, die Musikanten spielten ihr Lied zu Ende, und der Koch gab dem Küchenjungen eine schallende Ohrfeige. Dornröschen erhob sich und reichte dem Prinzen die Hand. Sie feierten eine große Hochzeit, lebten glücklich und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.«
Mit diesen Worten beendete ich die Geschichte und blickte in die Runde.
»Was ist das, Hochzeit?«, fragte Tony interessiert.
Ich erklärte es ihm.
»Dann will ich dich später heiraten«, beschloss er und ich wuschelte ihm durchs Haar.
Hope seufzte träumerisch. »Ich möchte auch mal von einem Prinzen wachgestreichelt werden.«
Iason und ich tauschten kurze Blicke. Ob wir gerade dasselbe dachten? Wenn es doch nur möglich wäre. Wenn Hope erwachen könnte, und all ihre Erlebnisse in Lokondras Lager wären nichts als ein böser Traum gewesen.
»Wann ist das passiert?«, holte Tony mich aus meinen Gedanken.
Ich hob die Schultern. »Es ist nur eine Geschichte.«
»Heißt das, es ist gar nicht wahr? Die Fee und Dornröschen gibt es überhaupt nicht?«, fragte Hope geradezu ängstlich.
Ich sah sie einige Atemzüge lang an. In meinem Inneren rangen Verstand und Gefühl. Hopes Blick weckte in mir den Wunsch, Realität und Fantasie auf irgendeine Weise zu vermischen. Schließlich gelang es mir, ihr ehrlich zu antworten und trotzdem beidem gerecht zu werden.
»Hier draußen ist es vielleicht nicht wahr. Aber hier«, ich tippte ihr an die Schläfe, »und hier«, ich legte die Hand auf ihre Brust, »darf jede Geschichte wahr sein, die du für wahr halten willst.«
Iason stand noch immer in der Tür. Diesmal war ich sicher: Er lächelte mich an.
Befangen wandte ich den Blick ab.
»So, und jetzt geht’s in die Betten«, sagte ich und versuchte, wenigstens halbwegs bestimmt zu wirken.
»Komm, Hope.« Iason streckte seiner Schwester die Hand entgegen. Das Mädchen stand auf und lief zu ihm hin. Während sie gemeinsam das Zimmer verließen, sprudelte in ihrer Muttersprache ganz leises, aber fröhliches Gemurmel aus ihrem Mund.
Unter hartnäckigem Protest und nach mehreren Anläufen wollte es Bert gelingen, auch Tony, Silas und Ariel nach oben zu scheuchen.
Nachdem sie fort waren, stand ich auf und massierte mich am Nacken. Für die verdrehte Haltung, die ich während des Erzählens eingenommen hatte, büßte ich nun mit Verspannungen.
»Mia.«
»Was?«, fragte ich verwirrt. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass noch jemand da war.
Luna stand im Zimmer und knetete die Hände.
»Du bist in letzter Zeit so traurig. Hat das irgendetwas mit Iason zu tun?« Es war ihr anzumerken, wie viel Überwindung sie diese Frage kostete. Ich zwang mich, meine Gefühle zu verstecken, und ging zu ihr hin.
»Auch«, sagte ich und strich ihr über die Wange. »Mit dir und den Kindern hat es aber nichts zu tun.« Da ich wusste, wie wichtig es ihr war, nicht mehr als Kind bezeichnet zu werden, achtete ich diesbezüglich auf meine Wortwahl.
»Iason war früher ganz anders«, setzte sie sich für ihn ein. »Viel fröhlicher. Kaum einer konnte ihn bremsen. Er war immer für andere da und hat sich vor nichts gescheut, wenn er glaubte, damit zum Wohl des Clans zu handeln.« Sie hielt kurz inne und klemmte die Unterlippe zwischen die Zähne. »Das war so, bis der Krieg ausbrach.«
»Kennst du ihn denn schon länger?«, fragte ich.
Luna nickte. »Ich bin auch vom Clan des Stolzes. Iasons Mutter war die Cousine meiner Mutter.«
»War?«
»Ja, sie ist kurz nach Hopes Geburt gestorben. Deshalb kümmert sich Iason auch so sehr um seine Schwester.«
»Verstehe.« Erneut strich ich ihr über die Wange. »Mach dir keine
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