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Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt

Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt

Titel: Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Pflieger
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ein Schloss besichtigen, das nur eine Stunde Autofahrt entfernt war, und dort zu Mittag essen. Tagesausflüge – eine weitere Sache, die ihr von nun an verwehrt bleiben würde.
    Die Sonne war inzwischen so hoch gestiegen, dass sie nicht mehr direkt ins Zimmer schien. Ab und an drehte sie sich von einer Seite auf die andere, ohne dass sie auf die Bewegung Einfluss genommen hatte.
    Sie beschloss, es erneut zu versuchen, ihrem Körper Befehle zu geben, um sich nicht in Grübeleien zu verlieren. Aber es war schwieriger, als sie es sich vorgestellt hatte. Noch nie zuvor hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, wie man im Geiste einer Hand den Befehl gab, sich zu heben oder eine Tasse zu ergreifen. Man tat es einfach, und je mehr sie darüber nachdachte, desto verwirrter wurde sie. Wieso atmete oder blinzelte sie, ohne es wirklich zu bemerken? Und woher wusste ihr Körper, welche Muskeln er anspannen musste, damit sie jemandem sanft über den Kopf streichen konnte, ohne ihm dabei alle Haare auszureißen?
    Zuerst bemühte sie sich, die einzelnen Muskelbewegungen zu visualisieren und auf diese Art ihr rechtes Bein anzuheben, doch sooft sie es auch versuchte, es geschah nichts. Selbst als sie sich darauf verlegte, nur die Augen zu schließen, gab es keine Reaktion.
    Dann erinnerte sie sich daran, dass sie zu Anfang den Eindruck gehabt hatte, auf unbewusste Gedanken zu reagieren. Also plagte sie sich damit ab, Bilder in ihrem Kopf heraufzubeschwören, die eine bestimmte Handlung erforderten.
    Irgendwann gab sie erschöpft auf, hörte, wie ihre Mutter das Haus betrat und die Treppen zu ihr heraufkam. Mit einer Mischung aus Faszination und Schrecken lauschte sie dem kurzen Gespräch, das sie ohne ihr Zutun mit Moni führte und ihr dabei versicherte, dass es ihr schon etwas besser ging. Was auch immer sie steuerte, es wollte ebenso wenig zu einem Arzt gebracht werden wie Lilly.
    In den darauf folgenden Stunden versuchte es Lilly immer wieder, aber bis auf ein leichtes Zucken im Fuß, das sie sich auch nur eingebildet haben konnte, blieb ihr ein Erfolg verwehrt.

39
    † S chmerz war seit Jahrhunderten sein Vertrauter. Es gab den stechenden Schmerz, wenn eine Kugel einen durchbohrte, das Brennen von Feuer und Eis, das dumpfe Pochen nach einer Kopfverletzung oder das widerwärtige Ziehen, wenn eine scharfe Klinge das Fleisch teilte. Er wisperte ihm mal rauschhaft oder betäubend seine Begrüßung ins Ohr, und Raphael empfing ihn wie einen alten Freund. Doch einen Schmerz hatte er nie wieder verspüren wollen: den Verlust eines geliebten Menschen.
    Amadea war gestorben. Zumindest hatte er das geglaubt, nur um feststellen zu müssen, dass sie überlebt hatte – denn daran hegte er keinen Zweifel. Nun jagte seine verlorene Liebe die neue. Allein diese Tatsache riss eine tiefe Schlucht in seine Seele, teilte sie in zwei Hälften, die gegeneinander ankämpften. Er sehnte sich so sehr nach Lilly, dass er nicht glaubte, noch einen Atemzug ohne sie machen zu können. So lange hatte er gewartet, aber durfte er deswegen seinen Zwillingsstern im Stich lassen? Es war eine rhetorische Frage. Was auch immer mit Amadea geschehen war – er musste es herausfinden. Alles andere würde er sich nie verzeihen. Nur wie sollte er das Lilly erklären?
    Er schloss die Augen, lehnte seinen Kopf gegen eine Fichte und spürte die raue Maserung der Rinde.
    Hatte er sie bereits verloren? Er erinnerte sich an seine Gefühle für seinen Zwillingsstern mit einer Eindringlichkeit, als wäre es gestern gewesen. Die Heftigkeit seiner Emotionen war unbeschreiblich – eine Mischung aus bedingungsloser Liebe, Hingabe und der Bereitschaft, alles für den anderen zu opfern. Wie sollte er dagegen ankommen? Er schlug mit der Faust gegen den Baumstamm, hörte Holz bersten. Mikael hatte seinen Platz in Lillys Gedanken verdrängt.
    Und das Schlimme war, dass er keinen Groll gegen sie hegen konnte. Sie hatte ebenso wenig eine Wahl gehabt wie er und Amadea. Es war ihr Schicksal. Ein grausames Schicksal, das allem Hohn sprach, für das die Sternenseelen angeblich standen. Wie konnte das Sternenlied so lieblich erschallen, wenn die Sterne solches Leid über ihre Auserwählten brachten? Zum ersten Mal in seinem Dasein nagten Zweifel an Raphael, umschatteten seinen bisher so klar vorgegebenen Weg, bis er nicht mehr sagen konnte, wohin ihn die Zukunft tragen würde.
    Er grub seine Hände in das gefrorene Holz, drückte so fest zu, bis Blut aus seinen Fingernägeln quoll, doch

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