Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit
starrte er auf den Karrenschieber. »Werden die Stengel hier verfaulen?« Der Schieber neigte seinen Kopf seltsam, als horche er auf einen schwachen Ton, sagte aber nichts.
Dunkeljunge biß sich verwirrt auf die Lippe. Der Arbeiter wartete - aber auf was? Irgendeine übliche Höflichkeit, von der Dunkeljunge nichts wußte? Auf Verdacht sagte er: »Mein Name ist Dunkeljunge. Bringst du die Stengel zum Verrotten hierher?« Daraufhin beehrte sich der Mann, die Anwesenheit Dunkeljunges mit einem direkten Blick zur Kenntnis zu nehmen. Die Augen in seinem faltigen Gesicht waren grau und wachsam, als hätte der Winter versucht, sie zu löschen, und dabei versagt. »Ich bin Rabbus von der siebten Halle in Tiahnas Tal.« Er nickte vorsichtig und förmlich. »Ich bringe die Stengel hierher, damit sie Wurzeln schlagen, so daß wir für die Töpfe mehr bekommen.«
Dunkeljunges Augenbrauen hoben sich überrascht. Er blickte an dem Karrenschieber vorbei, dorthin, wo Stengel auf dem nackten Fußboden lagen. »Aber hier ist nichts, in dem sie wachsen können - Rabbus.«
Rabbus neigte den Kopf. »Dann brauchen sie vielleicht nichts. Würdest du zur Seite gehen und mich durchlassen, Dunkeljunge von Nirgendwo, nachdem du mir deine Halle genannt hast?«
Dunkeljunge errötete und trat rasch beiseite. »Ich bin meine Halle ist hier. Im Palast.«
»Eine warme Halle mit Klangstrahlen.« Die Bemerkung entsprach der Form. Rasch rollte Rabbus seinen Karren in den Flur.
Dunkeljunge eilte ihm ermutigt hinterher. »Rabbus -warum hast du anfangs nicht mit mir gesprochen? Bevor ich dir meinen Namen sagte?«
Rabbus' verfilzte Brauen hoben sich in gespieltem Erstaunen. »Würdest du zu einem Schatten an der Wand sprechen, Dunkeljunge?«
»Nein«, erwiderte Dunkeljunge rasch. »Aber ich würde meinen Karren über ihn hinwegrollen, ohne anzuhalten wenn ich wirklich dächte, er sei ein Schatten.«
Rabbus beugte den Kopf, seine Augen blitzten anerkennend. »Ah, aber es gibt Schatten und Schatten. Wenn du glaubst, daß der Schatten dir eventuell Namen und Halle angeben könnte, so ist es rücksichtslos, ihn zu verletzen. Es ist ebenso leicht, rücksichtvoll zu sein - meinst du nicht, Dunkeljunge?«
»Es - ja.«
»Und wenn du taktvoll bist, und da arbeiten Leute, dann ist es gut, sie nicht mit Fragen zu belästigen«, fuhr Rabbus mit einem Blick zur Seite fort. »Denn wenn du taktvoll bist, weißt du, daß es Zeiten gibt, da Menschen Fragen beantworten wollen, und Zeiten, da sie es nicht tun.«
Dunkeljunge nickte beschämt; nicht so sehr wegen der wenigen Fragen, die er bereits gestellt hatte, sondern eher wegen all der Fragen, die zu stellen er beabsichtigt hatte. »Aber du hast nichts dagegen, wenn ich zuschaue - ohne zu sprechen?«
»Ich werde meinen Gefährten sagen, daß du kein Schatten bist, und keiner wird etwas dagegen haben.«
Sie hatten nichts dagegen; aber ebensowenig sprachen Rabbus' Gefährten miteinander, während sie arbeiteten. Als der Tag weiter fortschritt und sie Flur nach Flur stutzten, wurde Dunkeljunge zunehmend von der natürlichen Ökonomie ihrer Arbeit gepeinigt. Er schaute wortlos zu und verbiß es sich, ihre Schweigsamkeit mit seinen unausgesprochenen Fragen auf die Probe zu stellen.
Gegen Mitte des Nachmittags verließen die Arbeiter ohne Erklärung den Palast, legten schweigend ihre Werkzeuge Inmitten des halbgestutzten Flures nieder und gingen ohne ein Wort. Dunkeljunge folgte ihnen verwirrt zur Plazatür. Rabbus wandte sich um und erhob einen Finger als Abschiedsgruß.
Enttäuscht machte sich Dunkeljunge daran, Khira zu finden. Doch ihre Zimmertür war verschlossen, und als er sie rief, antwortete sie nicht.
Auch beim Abendessen in der Küche gesellte sie sich nicht zu ihm. Er aß besorgt, verwirrt über das Verhalten der Arbeiter, und fragte sich, ob er Khira verletzt hatte, indem er sie allein gelassen hatte, um ihnen zuzuschauen. Es gab Dinge, so erkannte er, die er nicht aus den Schriftrollen erfahren konnte - eine Menge Verhaltensweisen und Feinheiten, die er statt dessen persönlich würde erwerben müssen.
Es war zur Abenddämmerung, als er Khiras Tür offen und Khira am Fenster eines nahe gelegenen Zimmers fand. Sie hatte die Fensterläden geöffnet, und Nachtluft kühlte eben die Steine des Raumes. Sie stand unbeweglich, die Hände an den Seiten geballt; aus ihrem Ausdruck schloß Dunkeljunge, daß sie wütend war, weil er sie verlassen hatte - bis er das Fenster erreichte und die versammelten
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