Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
»Du sagtest: kannten ihn. Ist er tot?«
Sie blickte rasch von Tehla zu Danior, in ihren Augen spiegelte sich das Entsetzen.
Danior erstarrte, als er die Anspannung in ihrer Stimme hörte, die plötzliche Blässe sah. Sein erster Impuls war, sie zu beruhigen, ihr zu sagen, daß ihr Vater nicht tot war. Aber wie konnte er es sagen, wenn er es nicht wußte?
»Niemand weiß es«, intervenierte Tehla. Seltsam, als sie ihre dunklen Brauen zu einem Stirnrunzeln zusammenzog, verschwand etwas von der Strenge aus dem Gesicht. »Er ist schon seit dem Dürrejahr fort. Niemand hat ihn seitdem gesehen. Aber hinter der Ebene gibt es weitere Länder. In einigen von ihnen leben Menschen. Und Jhaviir war ruhelos.«
»Das Dürrejahr?«
»Vor zwölf Jahren. Aber jetzt ist nicht die Zeit, um darüber zu diskutieren. Ich sehe, daß du fast zu müde bist, um zu stehen. Komm, laß mich nach deinem Bein sehen.« Tehla ging in ihr Kefri zurück.
Keva zögerte, dann duckte sie sich und folgte ihr in das Kefri. Danior tätschelte Waanas Nacken, dann folgte er den beiden.
Keva stand neben der Tür, ihr Blick war gefesselt von den runden Wänden aus getrocknetem Schlamm, dem hartgepreßten Boden, den Geräten und Werkzeugen, die von Decke und Wänden hingen. Neben der Feuergrube waren zwei Plattformen mit eingerolltem Bettzeug. Sie setzte sich steif auf einen Stuhl, den Tehla vor sie stellte. Sie befeuchtete ihre Lippen, machte sich Mut.
»Wenn ihr meinen Vater kennt, kennt ihr auch meine Mutter«, sagte sie langsam, als hätte sie Angst vor der Antwort.
Tehlas verdeckte Augen blitzten. »O ja. Ich brachte oft meine Pflügegespanne in ihr Tal, als sie noch ein Kind war. Bevor sie den Sonnenthron einnahm. Ihre Mutter lebte, als sie sich zurückgezogen hatte, drei Jahreszeiten lang in diesem Lager. Waana trug ihr Bündel, als sie und Tiahna zu Vendanas Lager gingen.« Tehlas Hände waren rauh, die Finger derb. Sie bewegten sich flink, als sie Kevas Hosenbein aufrollte und das geschwollene Knie untersuchte. »Tut es weh, wenn ich hier drücke?«
Keva starrte sie an und schien die Frage kaum zu hören. »Nein.« Erstarrt.
Tehla schaute ihr ins Gesicht, als sie das Knie erneut untersuchte. »Ich kann sehr gut erkennen, daß es weh tut.«
Keva begegnete ihrem Blick und schauderte. »Es tut weh«, gab sie angespannt zu. »Meine Mutter war eine Barohna. Das ist es, was ihr mir gesagt habt.« Die Worte schienen ihr mehr Schmerzen zu bereiten als Tehlas Untersuchung.
Tehla wägte die Worte sorgfältig ab, bevor sie antwortete: »Das war sie. Aber ihr Tal wird jetzt nicht mehr bestellt. Unsere Gespanne pflügen dort nicht länger die Scholle.«
Keva sprach matt, mit steifen Lippen. »Weil sie tot ist.«
»Ja, seit vielen Jahren«, sagte Tehla endlich und nickte. »Du hast dir eine Verletzung zugezogen, Keva Marlath. Danior, zerstoße Pagnyon-Beeren für den Tee. Wir werden ihn trinken, während ich Chatter-Blätter für den Verband einweiche. « Die Worte kamen fast barsch heraus. Tehla erhob sich aus ihrem Stuhl und beschäftigte sich mit einem Bündel getrockneter Blätter aus ihrem Vorratsnetz.
Danior zögerte. Es erschien ihm falsch, Keva jetzt den Rücken zu kehren, jetzt, da alle Farbe aus ihrem Gesicht gewichen war, wo sie aussah, als hätte sie einen schweren Schlag erhalten. Aber sie hielt die Lippen zusammengepreßt und weigerte sich, seinem Blick zu begegnen. Offensichtlich wollte sie nicht durch sein Mitgefühl belastet werden. Zögernd drehte Danior sich um und nahm den Schlegel und das Stampfbrett herunter.
Er war sich bei seiner Arbeit der Angespanntheit ihres Schweigens deutlich bewußt. Doch als er den Tee servierte, fiel ihm ein, daß es wohl nicht der Kummer um die Mutter war, der sie so blaß werden ließ. Sie schien nicht so sehr durch den Tod ihrer Mutter beraubt als erschreckt durch das, was sie über sie gehört hatte. Sie nahm den irdenen Becher mit zitternden Händen entgegen und trank schweigend, während Tehla den Kräuterverband auflegte und ihr Knie mit einem sauberen Stück Stoff verband. Durch ihre Reaktion verwirrt, goß ihr Danior noch einen zweiten und dritten Becher voll Pagnyontee ein. Sie trank alles, schwieg aber noch immer, obwohl die Farbe wieder in ihr Gesicht zurückkehrte.
Natürlich wurde sie schläfrig, wie Tehla es beabsichtigt hatte. Sie protestierte nicht einmal, als Tehla das Bettzeug entrollte und sie auf eine Plattform führte. Danior seufzte und ließ den einen Becher voll Tee, den er
Weitere Kostenlose Bücher