Sternenstaub im Kirschbaum
Greisenhaupt sah keinen Grund , ungeduldig zu werden.
»Das haben sie schon. Ich meine, sie haben es versucht.«
»Wie? Die wurden nicht mit einem Mädchen fertig?«, fragte sein Enkelsohn , beinahe schon in seiner Ehre verletzt.
»He!« Seiner Enkeltochter gefiel der Ton ihres Bruders nicht.
»Na ja. So ein nackter Soldat hat schon so seine Schwachstellen«, erklärte er verständnisvoll.
Vicia von Lerchensporn erachtete den Verlust ihrer Kleidung als Affront gegenüber Frauen in einer von Männern dominierten Welt. Ihre Jungfräulichkeit würde sie deswegen mit allen Kräften verteidigen. Dem ersten Soldaten, der es wagte, sein nacktes Bein in ihre Kammer zu stecken, trat sie derart vehement vor das Schienbein, das dieser vor Schmerz seine Hellebarde fallen ließ und rücklings auf seinen ebenfalls überraschten Kameraden fiel. Vicia war nun bewaffnet und zu allem bereit. Die Wachen zogen sich danach zurück, derart störrische junge Dinger war man in Kardone nicht gewöhnt.
»Was schleppst du uns auch für Gören ins Haus?«, bemerkte daraufhin Ehefrau Nummer 5 mit einer gewissen Schadenfreude. »Da waren deine Augen scheinbar größer wie dein Verstand!«
An dieser Stelle sollte man Meister Greisenhaupts fünfter Frau aber auch ihre ausgesprochene Musikalität zugutehalten. Ihre Stimme war ein Genuss für die Ohren. Ansonsten war sie schon arg eifersüchtig.
»Die bringt uns Gold! Oder meinst du, dich bezahlt jemand für dein Harfengezupfe?«
Auch wenn sich Meister Greisenhaupt bemüht hätte, er hätte seinen sieben Frauen nicht widersprechen können. Das taten sie selbst schneller. Nummer 7 führte seine Bücher und hielt wenig von der Verschwendungssucht ihrer Schwestern.
»Aber Schuhe und Fusel sind in Ordnung?!« Nummer 5 teilte weiter aus. Wegen häufiger Kopfschmerzen hatte Nummer 7 ein minderschweres Alkoholproblem. Die Schuhe gingen allerdings auf Kosten von Nummer 6, einer begnadeten Köchin und Liebhaberin der neusten Lerchensporner Schuhmode. Sie hätte niemals barfuß das Haus verlassen.
»Um was geht’s?«, fragte Nummer 4 gutgelaunt, obwohl sie bereits das ganze Gespräch verfolgen konnte. Die Gute hatte ein miserables Kurzzeitgedächtnis und wurde deshalb oft belächelt. Nur in der Horizontalen soll sie einmalig gewesen sein.
»Erzähl den Kindern nicht so ein Schweinkram!«, rief die Großmutter erneut aus der Küche.
»Ach was ... die Kinder verstehen das schon, oder?«, fragte er, obwohl seinem nickenden Enkelsohn bereits die Antwort in den Augen stand.
»Und die anderen beiden?«, fragte seine Enkeltochter. Sie hatte aufgepasst.
Ehefrau Nummer 2 galt bei den Ginkgo beinahe schon als schwarzes Schaf. Sie sprach oft über ihre Träume , schöne Kleider tragen zu dürfen und wurde schon mehrfach beim heimlichen Nähen erwischt. Sich mit bunten Stofffetzen zu bedecken, diese Peinlichkeit konnte kaum einer der Ginkgo verstehen.
Und Nummer 1 war eine absolute Schönheit. Schlafend galt sie als die wundervollste Frau der Welt, die nur im Wachzustand pausenlos und ohne Luft zu holen redete. Eine Eigenart, die sich das junge Ding nicht abgewöhnen konnte, weswegen ihre Mitmenschen sie meist nur mit Watte in den Ohren oder mit genug Abstand ertragen wollten.
»König Hisperis, ein gewisser Meister Tulpenmohn und sein Lehrling möchten zu Euch vorgelassen werden«, meldete eine Wache, die gerade den Thronsaal betreten hatte. »Sie kommen im Auftrag von Meister Bittermandel.«
»Die Unterhändler. Auf die habe ich gewartet. Bringt sie herein«, ordnete Meister Greisenhaupt an. Er lächelte und war von seinem Plan überzeugt.
»Mein Prinz. Ich tat es , um unser Land zu ehren!«, erklärte Meister Bittermandel devot und verbeugte sich vor Dost-Escariol von Lerchensporn. Die beiden befanden sich im Arbeitszimmer seines Vaters im Palast in Lerchensporn. Der Erzspruchwirker hatte gerade seinen Handel mit dem Eroberer aus Hyazinth gebeichtet.
»Ihr habt uns verkauft!« Prinz Dost wusste nicht , ob er weinen oder lachen sollte.
»Ja. Zum besten Preis, den ich bekommen konnte. Es gab keinen anderen Weg. Der Kurfürst und seine Männer stehen bereits vor der Stadt.«
»Aber die Frist ist doch noch nicht abgelaufen.«
»Mein Prinz. Die Mission Meister Tulpenmohns ist gescheitert. Wir werden aus Granadilla keine Hilfe bekommen. Die Frist war nur eine Farce. Wir sollten vorbereitet sein.«
»Aber ich kann doch nicht den Stammsitz meiner Familie aufgeben? Ich meine,
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