Sternenstaub im Kirschbaum
Haus von Tante Lobelie war sicherlich nicht das beste Versteck, aber solange sich die Bürger von Rosenheide dem Ansturm der fremden Soldaten widersetzten, sollte es genügen. Das Schweinegatter befand sich direkt vor seinem Fenster. Zu seinem Leidwesen hatte der Zuchteber mit dem verkümmerten Geruchssinn und der Vorliebe für grüne Roben seine Schlafecke direkt unter Musas Fenster eingerichtet. Das Vieh hatte ihn in der letzten Nacht beinahe um den Verstand gebracht, inzwischen schnarchte er schlimmer als seine Tante.
In Rosenheide hatten sich viele Dinge verändert. Die Menschen liefen alle mit schweren Umhängen und Waffen umher. Zumindest wenn man das ganze Acker- und Handwerksgerät als Waffen gelten lassen wollte. Aber das spielte keine große Rolle. Das wirklich merkwürdige waren die Dämonen. Die Dämonen, die er freigelassen hatte – die Dämonen, die sonst alle gefürchtet hatten – genau die Dämonen lebten nun mit den Menschen in trauter Waffenbrüderschaft, Seite an Seite, eine unglaubliche Allianz! Da die wenigsten Dämonen aufgrund ihrer eher bescheidenen Körpergröße in der Lage waren , einen Menschen im Kampf gegenüberzutreten, hatten sie die Versorgung der Rosenheider Bürgerwehr übernommen.
Vor Tante Lobelies Speisekammer saß ein besonders wohlgeformtes Kullerchen, das mithilfe dreier Mehlwürmer die Vorräte rationierte. In Rosenheide hatte man sich auf eine längere Belagerung eingerichtet. Den Aggressoren aus Hyazinth nachgeben wollte niemand. Es hatte Musa fast eine Stunde engelszungengleiches Gerede gekostet, etwas zu essen, ein leeres Einmachglas und ein Stück Kernseife zu bekommen.
»Was hatte Musa denn vor?«, fragte seine Enkeltochter, bereits seine Pläne ahnend, schmunzelnd.
»Na was wohl? Kampflos wollte er sich denen jedenfalls nicht fügen.«
Es war noch früh am Morgen und Musa Rübenkerbel hatte einen Plan. Eigentlich hatte er nicht erwartet, dass die Hochzeit zwischen Vicia und Malus von Steppenkirsche nach den Ereignissen am Vortag noch stattfinden würde. Aber sie wurde nicht abgesagt. Die vielen Plakate, die er in Lerchensporn gesehen hatte, ließen daran wenig Zweifel. Auch seine Bitte, dem fremden Prinzen und dessen Vater persönlich vortragen zu dürfen, was in Kardone passiert war, schien niemanden zu interessieren. Er hatte, nach seiner Rückkehr gestern, stundenlang gewartet zu ihnen oder Meister Bittermandel vorgelassen zu werden.
»Ich werde Vicia retten!«, sagte Musa entschlossen. Seine Vicia war völlig wehrlos und er konnte sie nicht mehr beschützen. Weder vor anderen noch vor sich selbst. Das war nicht akzeptabel. Diese Hochzeit durfte nicht stattfinden. Das war sein Plan!
»Du bist verrückt!«, antwortete Cardamine, »Die werden dich erwischen und dich mit den Füßen nach oben an einen Pfahl binden!«
Leider waren Cardamines Bedenken nicht unbegründet, in Begonien galt es früher als gute Tradition , Verbrecher solcherart zur Schau zu stellen.
»Nein. Das werden sie nicht!« Musa dachte nicht daran, sich aufhalten zu lassen.
»Und wie kommst du darauf, dass Malus von Steppenkirsche einer Einladung von Dost-Escariol von Lerchensporn folgen wird? Und das noch in diesem komischen Tanztheater?«, fragte Cardamine neugierig. Eigentlich hätte es ihr egal sein können, wie Musa sich selbst aus dem Weg räumen würde. Aber trotzdem erwischte sie sich dabei, sich um ihn zu sorgen. Natürlich hielt sie noch an ihrem Plan zur Ergreifung der Weltherrschaft fest, nur inzwischen würde sie es tolerieren, wenn Musa dabei nicht den Kopf verlieren würde.
»Schwingungen. Ich kann es spüren.« Besser konnte sich Musa seine Eingebung nicht erklären. Sein Plan war genial, so befand er selbstbewusst, denn da er die Hochzeit grundsätzlich nicht verhindern konnte, hatte er beschlossen , sie zu sabotieren. Dieser geckenhafte Malus von Steppenkirsche würde seine Vicia nicht bekommen!
»Ah ... Schwingungen. Na dann ... hatte ich dir nicht erzählt, was mir zugestoßen ist, als ich das letzte Mal auf Schwingungen gehört habe?«, fragte Cardamine beinahe schon mütterlich. Ein peinliches Gefühl, zum Glück bekam das außer Musa und das immer noch verwirrte Orakel niemand mit, das sich inzwischen auf ihrem Rücken häuslich eingerichtet hatte und tief und fest schlief. Cardamine traute sich deswegen kaum noch, einen Schritt zu laufen und lag deshalb die ganze Zeit regungslos auf Musas Bett. Diese verfluchten mütterlichen Gefühle stammten direkt aus
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