Sternenstaub
Aber nie waren es Iason oder Tony.
»Mia!«, hörte ich plötzlich Hopes glockenklare Stimme.
Die Kleine hatte die Arme um Ajas’ Hals geschlungen und ließ sich tragen. Bo klammerte sich an Ajas’ Bein, als wollte er es nie mehr loslassen.
So schnell es die Menge zuließ, drängte ich mich zu ihnen durch. Hope streckte mir die Arme entgegen, und ich drückte sie ganz fest an mich. »Du bist hier«, schluchzte ich, »dir ist nichts passiert.« Ich hielt sie auf Armeslänge von mir weg und sah sie an, um auch ganz sicher zu sein, dass es ihr gut ging. »Was ist mit Iason?«, erkundigte ich mich sogleich. Hope zeigte zurück zum Wald. »Er kommt noch. Er trägt ein Kind, das nicht mehr laufen kann.«
Erleichterung war gar kein Ausdruck. Wie sehr hatte ich diese Nachricht herbeigesehnt, aber was war mit Tony? Hatten die anderen ihn gefunden?
Ich blickte zu Ajas. Ja, er war zwar über und über mit Ruß und Dreck beschmiert, sein Hemd war zerrissen, und er hatte eine lange Wunde am Hals, wohl ein Streifschuss, der aber schon behandelt worden und bereits am Abheilen war. Der starke und ernste Mann wirkte erschöpft und abgespannt, aber darunter waren seine Gesichtszüge so befreit, wie ich es bei ihm noch nie gesehen hatte. Wir begrüßten uns mit einem Nicken.
»Warte hier, dann kannst du Iason nicht verfehlen«, sagte er leise und zog weiter.
»Hast du Tony gesehen?«, rief ich ihm hinterher, aber da war Ajas schon in der Menschenmenge verschwunden. Das Letzte, was ich von ihnen sah, war, wie Rojan und Kaja zu ihnen gingen. Rojan legte einen Arm um seinen Vater, während Kaja ganz fest seine Hand hielt.
Ich senkte die Lider. Iason. Er hatte überlebt.
Ich hatte geglaubt, ich würde in einen Glücksrausch verfallen und ihm mit Freudentränen in den Augen entgegenlaufen … aber es fühlte sich anders an. In mir wurde alles ganz still – während ich zum Wald sah und auf ihn wartete. Bestimmt hatte er Tony bei sich. Bestimmt.
Als eine nächste Gruppe Heimkehrer komplett an mir vorbeigezogen war, lehnte ich mich mit dem Rücken an einen Baum.
Wann würde er derjenige sein, der endlich die Äste beiseiteschob und aus dem Dickicht trat? Ich sank am Stamm hinab, während die verschlungenen Wolken am Himmel umeinanderwirbelten und der Wind die Zweige über meinem Kopf bewegte.
Ich wartete.
Und wartete.
Wartete.
Nur noch Emmi, Soei und ich waren hier. Soei hatte bei uns gewohnt, seit ihre Mutter losgezogen war, um ihren Bruder zu schützen.
Und dann …
… erst hörte ich ein leises Knacken. Dann Kinderstimmen. Ich stützte mich mit einer Hand am bemoosten Boden ab und stand auf. Die nächste Gruppe kehrte heim. Die Geräusche kamen näher … ein blaues Strahlen suchte sich seinen Weg zu mir, und ich erblickte die Schemen einer ersten Gestalt. Sie ging geschmeidig und trug ein Kind auf den Schultern. Iason! Bist du das?
32
E nttäuschte Erwartung … nein, so durfte ich es nicht sehen. Emmi schlang die Arme um den Hals ihres Onkels. Es kamen immer wieder Eltern, Geschwister und Kinder … Familien, die sich vermisst und umeinander gebangt hatten, und somit der Qual ausgesetzt gewesen waren, sich vielleicht für immer zu verlieren. So wie ich jetzt noch. Viele wirkten angeschlagen, und es lag mehr Erschöpfung als Glück in ihren Gesichtern, als wären sie noch immer in einer Art Schockzustand und nicht imstande zu begreifen, dass sie zu den Auserwählten gehörten, die sich nun wiederhatten. Manche aber kamen auch allein zurück. Ihre Gesichter vermag ich nicht zu beschreiben.
Auch Soei wurde nicht von ihrer Mutter, sondern von ihrer heimgekehrten Tante empfangen, die ihr leise und mit Tränen in den Augen etwas zuflüsterte, woraufhin Soei in lautes Weinen ausbrach. Ajna hatte mir erzählt, dass Soeis Vater schon beim letzten Angriff ums Leben gekommen war. Noch heute kann ich den Gedanken an sie und ihr Schicksal kaum ertragen, er schnürt mir einfach die Luft ab.
Gruppe um Gruppe kehrte heim. Einige waren nur zu viert, die größte bestand aus mehr als dreißig Leuten. Und doch waren es noch immer viel zu wenige. Iason und Tony waren bisher nicht dabei. Inzwischen brach die Dämmerung an.
Der Abend schlich näher und ich hielt es nicht mehr aus zu sitzen. Die Angst schärfte meine Sinne, die jedem auch noch so leisen Laut aus dem Wald mit neu angefachter Hoffnung begegneten.
Wieder kam eine kleine Truppe Nachzügler in der Siedlung an. Zog an mir vorbei. Ich kannte sie nur vom
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