Sternenstaub
seine Gefühle wieder vor mir verschloss. Ich wollte die Zeit zurückdrehen, wieder und wieder, ohne jemals zu hören, was er als Nächstes sagte. »Nos ioR! Niemals.« Er sammelte sich kurz. »Ich bin zum Töten geboren, du zum Leben.«
»Sag mal, spinnst du jetzt?«, schrie ich vollkommen außer mir. »Machst du jetzt einen auf Märtyrer, oder was? Das hier ist unser gemeinsamer Sinn!«
Statt auf meinen Wutanfall zu reagieren, wich er meinem Blick aus und starrte ins Leere. »Bitte nicht, Mia, lass mich dich jetzt nicht so fühlen. Nicht so pur.«
Als hätte er mir damit den Stecker gezogen, wurde alles ganz still in mir. Ich wollte ihm nicht wehtun, aber ich wollte das alles auch nicht hören. Worte, so schnell und einfach gesagt, und doch rissen sie mir den Boden unter den Füßen weg, nahmen mir alles. »Du willst also wirklich alleine gehen?«
»Ja«, sagte er, ohne den Kopf zu heben.
Ich konnte gar nicht antworten, weil keines meiner Argumente mir stark genug erschien. Es gab so viele Gründe für ihn zu gehen, und nur einen zu bleiben, und als ich das dachte, zerschmetterte auch dieser unter der Last der anderen. Ich wich zurück, stieß gegen eine Besucherbank und sank darauf nieder. Meine Finger krallten sich in mein Haar. Aber das hier war unmöglich. Unmöglich. Es ging nicht.
»Geh nicht, Iason. Bitte, Iason, bitte, bitte, bleib bei mir.« Doch noch während ich diese Worte aussprach, wusste ich, dass er mir diesen Wunsch nicht erfüllen konnte. »Was, wenn du es nicht schaffst, wenn du …«
Iason kniete sich mit einem Bein vor mich.
Ich hielt den Kopf gesenkt und spürte, wie er mir vorsichtig eine Strähne hinters Ohr schob. »Glaub mir, wenn ich anders handeln könnte, ich würde es tun.«
»Aber …«
Er lächelte traurig. »Das alles muss ein Ende finden, Mia.«
»Iason, das ist Wahnsinn! Hope braucht dich hier.«
»Hope braucht ihr Zuhause.«
Schniefend sah ich ihn an. »Du gehst also nicht nur, um mich und die anderen hier zu beschützen.«
»Ganz ehrlich? Dich zu beschützen wäre es mir in jeder Sekunde wert, und ich will hier leben, bei allem, was mir heilig ist, ich will bei dir sein, egal wo. Aber ich bin nun einmal auch Wächter meines Volkes, und für die Kinder wird die Erde nie ein wirkliches Zuhause sein.« Da war dieser leichte loduunische Akzent in seiner Stimme, den ich so sehr an ihm liebte. »Ich musste eine Entscheidung treffen, Mia.«
Natürlich, sein Volk wurde dort oben ausgerottet. Seine ganze Familie wurde von wahnsinnigen Mördern abgeschlachtet. Der Krieg war verloren und er wusste, dass er ihnen nicht wirklich helfen konnte, wusste noch nicht einmal, ob er mir helfen konnte, aber was wäre er mir für ein Freund und ihnen für ein Sohn oder Bruder, wenn er es nicht wenigstens versuchte.
»Wann?«, krächzte ich. »Sag mir, wann.«
»In einer Woche.«
Er spreizte die Finger und strich mit den Daumen über meine Tränen, immer und immer wieder, aber es war, als hätten seine Worte einen Damm gebrochen und sie ließen sich nicht mehr aufhalten. Dann ließ er mich los. »Ich werde, sobald ich kann, zurückkommen, aber vorübergehend werde ich ins Haus der Wächter ziehen. Es tut keinem von uns gut, wenn wir uns noch länger sehen.«
»Was?« Verdutzt schluckte ich meine Tränen hinunter, schniefte und schaute zu ihm hoch und … sah, dass er auf sein Flybike gestiegen war und seinen Helm aufzog.
»Hallo?« Was ging denn hier bitte schön ab? »Das kannst du doch jetzt nicht machen!«
Doch! Konnte er. Er machte es. Einfach so.
Ohne mit der Wimper zu zucken, sah er mich noch ein letztes Mal an, dann startete er mit einem Kick den Motor. Mit einem traurigen Lächeln hob er die Hand, wie zu einem endgültigen Abschiedsgruß.
Im ersten Moment war ich so geschockt, ich war gar nicht in der Lage zu reagieren, und als ich halbwegs wieder zu mir kam, war er auch schon davongeflogen. Hatte er sich etwa im Ernst aus dem Staub gemacht?
Ich sprang zur Brüstung und meine Hände krampften sich um das kalte Geländer, während ich mich, so weit es ging, darüber beugte. Deshalb waren wir mit dem Flybike geflogen! Damit ich ihm nicht folgen konnte. »Du Idiot! Komm zurück!«, schrie ich ihm nach. Und noch einmal: »Komm zurück!«, während sich seine Maschine als winziger Punkt am Himmel verlor.
Erst da dämmerte es mir. Mich so zu behandeln. Mich dermaßen kaltblütig hier heulend sitzen zu lassen, das alles war nicht Iasons Stil. Er beabsichtigte damit etwas.
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