Sternenwind - Roman
roch nach verwesenden Herbstblättern, wie in der Nacht nach einem Sturm, wenn noch nicht alles Wasser im Boden versickert oder verdunstet war. Wir setzten uns auf flache Steine mit einem guten Blick auf die Halteleine und die Hütte. Zuerst saß ich verschlafen neben meinem Bruder und genoss die Kühle auf meinen Wangen, während Wunschstein, Treue, Hoffnung und Sommer über uns am Himmel hingen. Es hieß, dass Vier-Mond-Nächte die innere Einkehr förderten, was genau zu meiner Stimmung passte. Die Gebras dösten im Stehen mit gesenkten Köpfen. Offenbar waren sie nicht entspannt genug, um sich hinzulegen, wie sie es zu Hause manchmal taten. Nachtvögel riefen leise. Ich stellte mir vor, dass einer davon Jenna sein könnte, die uns geduldig beobachtete und mit dem Wald verschmolzen war.
Joseph brach als Erster das Schweigen. »Komm näher, Chelo. Es ist zu riskant, hier den Projektor zu benutzen, hier bei der Hütte. Aber ich würde gern das Stirnband ausprobieren. Ich kann dir sagen, was ich sehe.«
Ich hockte mich neben ihn, so dass wir auf einer gemeinsamen Decke auf dem feuchten Gras saßen, während ich die zusätzliche Decke, die ich auf Kayleens Drängen hin mitgenommen hatte, um unsere Schultern legte. »Hast du einen Speicher bei dir?«, flüsterte ich.
Er nickte. »Aber zuerst will ich den Knoten reparieren. Den auf dem Grat. Ich habe das lokale Netz den ganzen Tag lang gehört, und ich spüre in mir, wie es aus dem Gleichgewicht geraten ist. Das macht mich ganz verrückt.« Er nahm meine Hand, lehnte sich gegen mich und legte den Kopf auf meine Schulter. Ich schlang einen Arm um seinen Rücken. In dieser Position hatte er sich am liebsten ausgeruht, als er zehn Jahre alt gewesen war.
»Also los, kleiner Bruder, lies den Wind.«
Er nickte. »Blut, Knochen und Hirn«, murmelte er. Dann schlossen sich seine Augen, während ich Augen und Ohren offen hielt, die Schatten auf der Lichtung beobachtete und mich vergewisserte, dass alles in Ordnung war. Joseph wurde immer schlaffer und schwerer in meinen Armen. Seine Augenlider zuckten, und er bewegte sich leicht, wie in einem unruhigen Traum. Es dauerte länger als gewöhnlich, sogar länger als in letzter Zeit, bis er wieder sprach. »Okay, Chelo. Jetzt habe ich’s. Knoten 89A sieht hier zwei weitere Knoten, 90A und 91B, beide weiter oben. Eigentlich müsste er auch mit 102A auf der anderen Seite des Sees Kontakt aufnehmen können, dazu wäre 89A leistungsfähig genug. Er versucht die andere Seite zu erreichen, empfängt von dort aber nur statisches Rauschen. Ich kann … nichts daran machen … nein. Wir müssen den auf der anderen Seite ersetzen.«
Er klang völlig selbstsicher. Wie er selbst. Als hätte das Stirnband seine Ängste vertrieben.
»Jetzt … stelle ich die Rückverbindung her, mit dem Teil des Netzes, das Kayleen repariert hat. Von da geht es weiter … mühelos … bis nach Artistos. Dort treffen jetzt die seismischen und meteorologischen Daten ein …« Er verstummte. Sein Haut wurde etwas wärmer unter meinen Fingerspitzen.
Der rötliche Mond Sommer glitt hinter den Kraterrand, nicht weit von der Höhle. Ich stellte mir vor, wie sein sanftes Licht hineinfiel, auf Jennas Gesicht traf und ihre groben Gesichtszüge besänftigte, wie es Jenna im Schlaf in die wunderschöne Frau zurückverwandelte, als die sie hierhergekommen war.
Joseph wirkte entrückt, und seine Lippen bewegten sich, ohne dass er sprach, als müsste er mir nicht genau erklären, was er tat, wohin er sich begab. Ich kuschelte mich dichter an ihn, zog die Decke um uns und hielt gleichzeitig Wache.
Ein kleiner Meteorschauer schoss über den Himmel – strahlende Punkte aus Feuer und Licht. Die Gebras rührten sich und scharrten mit den Hufen. Joseph blieb sehr lange ein stiller, schwerer Klumpen in meinen Armen, so dass ich jegliches Gefühl in den Beinen verlor. Ich versuchte es mir etwas bequemer zu machen und summte leise vor mich hin, um mich wach zu halten, während ich es bedauerte, nicht die Flöte mit nach draußen genommen zu haben.
Joseph hob den Arm auf der anderen Seite, streckte sich, und meine Hand rutschte an seiner Hüfte hinunter. Er richtete sich ein Stück auf, und wieder veränderte ich meine Position. Dann drehte er ruckartig den Kopf und sagte: »Es hat funktioniert.« Seine dunklen Augen strahlten glücklich, als hätte er sich an den Daten von Fremont gelabt. »Ich möchte nach Artistos zurückgehen und im Zentrum des Netzes sitzen, um zu
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