Sternenwind - Roman
unser Vater dazu fähig war. Ich erinnere mich überhaupt nicht an ihn. Anders als du.«
»Ich sehe sein Gesicht nicht mehr. An Chiaro erinnere ich mich deutlicher, vor allem an den Tag, als sie uns in die Stadt brachte. Es muss der Tag gewesen sein, als die anderen aufgebrochen sind.« Ich dachte an die Geschichten, die ich von Tom und Paloma gehört hatte. »Am Tag, als wir beinahe ermordet wurden. Sie kam mit allen sechs Kindern, die bereits alt genug zum Laufen waren, aber Liam und Alicia hätten es fast nicht geschafft. Chiaros Gesicht war blutig. Sie sagte uns immer wieder, dass wir uns beeilen sollten. Sie brachte uns zum Stadtpark, und wir mussten uns die ganze Zeit an den Händen halten. Du konntest nur mit Mühe laufen, so dass Liam und ich dich in die Mitte genommen haben.«
Die Erinnerung ließ mich erschauern. »Dann kamen Leute, und Chiaro sprach mit ihnen. Es waren sehr viele. Sie stürzte. Ihr Blut färbte das Gras rot. Sie bat die Menschen, sich um uns zu kümmern, dann wurden wir alle von Therese und Steven weggebracht.«
Joseph schwieg eine Weile, bevor er wieder etwas sagte. »Ich wünschte, wir hätten mehr Erinnerungen an Vater. Ich bin froh, dass ich wie er bin, dass wir die gleichen Modifikationen haben.«
Meine Einschlafgedanken über Ziele kehrten zurück. »Was willst du? Für uns? Bald werden wir erwachsen sein. Ich möchte, dass wir freie Erwachsene sind.« Ich zeigte auf einen Meteor, der kurz über der dunklen Silhouette des Kraterwalls aufblitzte. »Was könnte Nava tun? Sie werden uns nicht töten, jetzt nicht mehr. Sie brauchen uns. Aber wollen wir einfach nur ein Teil der Kolonie sein? Wollen wir mithelfen, sie zu führen? Wir könnten zu einer eigenen Vagabundensippe werden.«
Er streckte die Hand aus, und ich nahm den Lesedraht ab. Er schloss die Faust um das Stirnband und hielt es auf Augenhöhe, um es genau zu beobachten, als wäre es ein Vogel oder eine Blume. »Das kommt darauf an, Chelo. Wie viel wir lernen. Im Augenblick möchte ich das hier benutzen, um zu lernen, was Jenna weiß. In dieser Woche haben wir mehr gelernt als in all den Jahren zuvor. Ich möchte verstehen, wer wir sind. Dann kann ich deine Frage vielleicht beantworten.«
Es würde einige Zeit brauchen, wenn Kayleen, Alicia und ich uns mit dem Projektor beschäftigten, wenn wir mit Liam und Bryan kommunizieren wollten, wenn Joseph lernen wollte, mit dem Stirnband umzugehen. Es erschien mir wichtig, ein gemeinsames Ziel zu definieren, das uns alle einschloss. Vielleicht sogar Jenna. »Denk darüber nach, kleiner Bruder. Dieser Ausflug wird nicht ewig dauern, und wir brauchen eine Richtung, bevor wir nach Artistos zurückkehren. Wir müssen wissen, was wir als Gruppe wollen, bevor wir uns dafür einsetzen können.«
Er nickte und band sich den Lederriemen wieder um das dunkle Haar. Sicherlich lag es nur am seltsamen Mondlicht, aber plötzlich wirkte er älter, als hätte sich über Nacht sogar sein Körper gewandelt und fast die Figur eines Mannes angenommen. Treue, der größte Mond, hing über Josephs Kopf, und der kleinere Hoffnung spiegelte sich in seinen Augen, als er zu mir aufblickte. »Und was willst du?«
»Ich will glücklich sein. Ich möchte allen beweisen, dass wir wahre Menschen sind. Ich will die Freiheit haben, eigene Entscheidungen treffen zu können. Ich will uneingeschränkten Zugang zu ihren und unseren Datenbanken. Nachdem wir jetzt wissen, dass wir unsere eigenen haben.« Ich kaute auf meiner Lippe. »Ich will unsere eigene Kultur, die neben ihrer existiert.«
Er lachte. »Wahrscheinlich wirst du kämpfen müssen, um all das zu bekommen.«
»Ich will keine Kriege.« Ich gähnte. »Ich will einfach nur schlafen.«
Joseph wippte auf den Fußballen. Er reckte sich zu ganzer Größe empor, als wollte er nach dem Himmel greifen. »Ich bin nicht müde. Geh doch rein und weck Alicia. Sie kann mir bis zur Morgendämmerung bei der Wache helfen.«
»In Ordnung. Aber vergiss nicht, gut aufzupassen. Wir sind nicht nur zum Reden hier draußen.« Ich umarmte ihn noch einmal. »Freut mich, dass du wieder da bist. Mein glücklicher Bruder hat mir sehr gefehlt.«
Er küsste mich auf die Wange. Seine Lippen fühlten sich warm und trocken an. »Danke, dass du hier warst. Du bist immer für mich da gewesen.«
Ich erwiderte den Kuss. »Gute Nacht.«
Als ich leise zur Hütte zurücklief, musste ich erneut an Jenna denken. Hielt sie sich in der Nähe auf? Was genau wollte sie eigentlich?
Drei
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