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Sternenwind - Roman

Sternenwind - Roman

Titel: Sternenwind - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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redet? Hat sie überhaupt Freunde?«
    Unten auf der Bühne trat Nava vors Mikrofon und räusperte sich. »Guten Morgen«, sagte sie, als die Menge sich beruhigt hatte. »Ich glaube, die meisten von euch kennen die Neuigkeiten, aber fürs Protokoll werde ich sie noch einmal offiziell verkünden. Das gestrige Erdbeben erreichte eine Stärke von neun Komma fünf und war damit das zweitschlimmste unserer Geschichte.« Sie ließ den Blick über das gesamte Amphitheater schweifen. »Zuerst unsere Verluste an Menschenleben. Zehn Personen, einschließlich Therese und Steven, starben durch eine Steinlawine oben am Hochweg.« Nava zögerte, und in diesem Moment schien es, als würde sich ihre Trauer und die der Menge und der Knoten in meinem Bauch zu etwas Festem, Greifbarem verbinden.
    Ich blinzelte und bemühte mich, keine Tränen zu vergießen. Bryan drückte meine Hand, und Kayleen legte einen Arm um meine Schulter, um mich zu stützen.
    »Wir werden gemeinsam um sie trauern«, fuhr Nava fort. »Morgen Abend. Sie waren unsere Anführer, und sie hätten gewollt, dass wir zuerst für unsere Sicherheit sorgen. Das werden wir tun. Wir haben damit begonnen, den Schaden abzuschätzen. Fast alles lässt sich reparieren, und für den Rest lässt sich ein Ersatz finden. Wir haben aufgelistet, was getan werden muss.« Nava zeigte auf einen Tisch, auf dem die Listen ausgelegt waren. »Einige von euch mit speziellen Fähigkeiten haben bereits Aufgaben erhalten. Andere können sich aussuchen, was am besten zu ihnen passt. Wir müssen jetzt hart arbeiten, trotz unserer Trauer und unserer Schmerzen. Wir müssen uns auf den Sturm vorbereiten. Lasst uns heute zusammenarbeiten und am Abend gemeinsam essen. Morgen werden wir wieder zusammenarbeiten, und danach werden wir um unsere Toten trauern.«
    In gedämpfter Stimmung machte sich die Menge auf den Weg nach unten, um die Listen durchzusehen und zu vervollständigen. Dann entfernten sich die Leute durch den Park oder über die Straßen, um in der Stadt mit ihrer Arbeit zu beginnen. Wir waren fast die Letzten in der Schlange. Ich schaute mich nach Jenna um, aber sie war verschwunden.
    Auf den Listen war Kayleens Name zusammen mit Paloma genannt. Sie sollten sich gegenseitig helfen, die Daten auszuwerten und den Gesamtschaden am Netzwerk abzuschätzen. Bryan hatte den Auftrag, sich an der Reparatur der Gebraställe zu beteiligen. Mein Name war von der Liste der Leute gestrichen worden, die Sachen aus dem beschädigten Lagerhaus tragen sollten. Stattdessen war ich für die Kinderbetreuung eingeteilt. Also hatte Nava tatsächlich dafür gesorgt, dass ich Joseph nahe genug war, um nach ihm sehen zu können. Ich schloss die Augen und fühlte mich für einen Moment schwach. Und ich dankte Nava stumm.
    Es gab knapp sechzig Kinder, die zwischen zwei und zehn Jahre alt waren, und vier von uns sollten sie betreuen. Die Kinder waren ungewöhnlich ruhig, bewegten sich in kleinen Gruppen, hielten sich an den Händen, sprachen nur flüsternd miteinander und brachen schnell in Tränen aus. Wir fingen im Park an, damit die Gebäude für die Begutachtung und Reparatur frei waren. Die Hitze, die Luftfeuchtigkeit und der Wind trieben uns in die Mulde des Amphitheaters, wo wir die größeren Kinder mit einem Fangspiel beschäftigten. Ich setzte mich zu den kleineren, um mit ihnen Lieder zu singen, Nasen abzuwischen und Trost zu spenden.
    Drei Stunden vergingen, bis ich mich loseisen konnte, um nach Joseph zu sehen. Über mir brütete der Himmel, als ich nach Hause lief. Die Wolken hatten eine kränkliche gelbgrüne Färbung angenommen und schluckten so viel Sonnenlicht, dass es wie am frühen Abend war.
    Aber es war erst kurz nach Mittag.
    Joseph setzte sich in seinem Bett auf, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und zog die Beine an den Körper – eine Reminiszenz an eine Pose, die er häufig während der Datensichtung einnahm. Auf seinen Wangen waren die Spuren getrockneter Tränen zu sehen. Er begrüßte mich mit einem vorsichtigen Lächeln, als ich zur Tür reinkam.
    »Wie geht es dir?«, fragte ich ihn.
    »Genau so, wie du aussiehst.«
    Darüber musste ich lächeln. »Ich wurde für die Kinderbetreuung eingeteilt. Möchtest du mitkommen und mir helfen?«
    Er senkte für einen Moment den Blick, bevor er mir wieder in die Augen sah. »Ich bin aufgestanden, um mir Wasser zu holen. Ich war so schwach, dass ich beinahe wieder zusammengebrochen wäre. Aber nichts tut weh. Ich möchte hierbleiben und

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