Sternenwind - Roman
Nacht lang wütend auf das Dach ein. Warmer, harter Regen prasselte auf die Blätter vor meinem Fenster, der Hintergrund für anstrengende Träume von Therese und Steven, die in einem Meer aus Steinen untergingen. Ich wachte unter einem klaren Morgenhimmel auf. Eine leichte Brise trug den Geruch nach Schlamm und Wasser durch die Ritzen im Fensterrahmen herein. An diesem Tag kümmerte ich mich wieder um die Kinder. Ich bemühte mich nach Kräften, ein gutes Gefühl zu haben, wenn ich an das Zusammenleben mit Nava dachte, während ich eine Gruppe neun- und zehnjähriger Kinder überwachte, die nasse und zerbrochene Dachziegel aufsammeln und zu einem Wagen bringen sollten. Vielleicht würden sich Navas Ansichten ändern, wenn wir einen engeren Kontakt hatten. Uns würde es helfen, den Feind besser kennenzulernen. Wir könnten uns ihr Vertrauen erarbeiten. Ich glaubte nicht daran, höchstens dass Tom einen guten Einfluss auf Joseph haben würde. Vielleicht. Eigentlich wusste ich kaum mehr über Tom, als dass er freundlicher und höflicher zu uns war als Nava. Aber er war nicht wie Paloma, die sich aktiv für uns einsetzte. Eigentlich hatte er uns kaum zur Kenntnis genommen.
Kurz nach Mittag kam Gianna zu uns gehumpelt und lächelte mich an. Schmerz und Erschöpfung zeichneten ihr schmales Gesicht. »Wir haben Nachricht von den Vagabunden. Von beiden Sippen. Es geht ihnen gut …« Sie strich sich das lange Haar zurück. »… außer dass Gene Wolk beim Erdbeben starb. Wir hatten bereits befürchtet, dass es viel schlimmer ist.«
Gene hatte uns als Kindern häufig Bäume und Menschen aus Holz geschnitzt. »Ich … er wird mir fehlen«, stammelte ich.
Ein weiterer Todesfall auf der Liste, ein weiteres Gesicht, das ich nie wiedersehen würde. Wenigstens ging es Alicia und Liam gut.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Gianna.
Ich nickte. »So gut es angesichts der Umstände geht. Für Joseph ist es im Moment nicht leicht.«
»Ich habe davon gehört. Ich hoffe, dass es ihm bald wieder besser geht.« Sie lächelte mir noch einmal freundlich zu und humpelte davon.
Als endlich das Signal für das Schichtende ertönte, schmerzte mir der Kopf vom zu vielen Nachdenken. Mein Rücken und die Schultern hatten ähnlich schwer unter der Arbeit mit den Dachziegeln gelitten.
An diesem Abend konnte Joseph laufen, ohne zu stürzen. Aber es schmerzte. Er kniff die Lippen fest zusammen, und ihm standen Tränen in den Augen. Wir zogen uns sorgfältig für die Trauerfeier an und wählten dunkelblaue Hemden, die offizielle Farbe von Chrysops und nun auch von Fremont. Früher war es die Farbe der Uniformen gewesen, die die Besatzung der Weltenreise getragen hatte. Ich strich ihm das schwarze Haar aus den Augen, aber sein Gesicht war immer noch blass, und er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Er brachte ein mattes Lächeln zustande.
Ich nahm ihn in die Arme. »Ich liebe dich«, sagte ich leise.
»Ich liebe dich auch«, flüsterte er zurück. »Lass uns gehen. Ich werde es schon schaffen.«
Unterwegs tauchte der Sonnenuntergang die breiten Holzplanken der Brücke über dem Samtfluss in weiche rot-goldene Farben und ließ Lichtsplitter über den kleinen Wellen tanzen, die sich um die Steine im Fluss bildeten.
Die Leute machten uns Platz, wichen uns aus, weil ihnen unsere Trauer unangenehm war und sie unter ihren eigenen Verlusten litten. Wir überquerten die schmale Bachbrücke und gingen über den verschlammten Weg zum Obstgarten hinauf. Als wir an der Schmelzhütte und an der Holzwerkstatt vorbeikamen, ging die Wegbeleuchtung an. Nun fiel es uns leichter, am Rand der Obstgärten entlangzugehen. Als wir endlich die Lichtung erreichten, auf der die Trauerfeier stattfinden sollte, standen Schweißperlen auf Josephs Stirn.
Genauso wie alle anderen war auch ich schon auf einigen Beerdigungen gewesen. Diesmal war es schwieriger, diesmal ging es um meine Angehörigen, meine Adoptiveltern. Ich wollte nicht hier sein, und ich war dankbar, dass uns fast niemand ansprach, aber auch, dass sie alle gekommen waren. Etwa die Hälfte der Menge hatte sich in offizielles Dunkelblau gekleidet. Andere waren offenbar direkt von der Arbeit gekommen. Sie hatten schmutzige Gesichter, ihre Kleidung war feucht und ihre Füße verdreckt. Auch Hilario kam, mit bandagiertem Kopf, geführt von seinem kleinen blonden Schatz Isadora.
Gianna – ebenfalls in Dunkelblau – begrüßte die Trauergäste und reichte jedem, der einen Angehörigen verloren hatte,
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