Sternenwind - Roman
werden muss, um ein anderes Problem zu verschleiern, das sehr wohl gelöst werden muss. Erlaubt Alicia, ihre Beschwerde vorzubringen, und hört, was Ruth dazu zu sagen hat. Wir sollten uns ausschließlich auf diese Problematik konzentrieren.« Er machte eine Pause und nahm einen Schluck Wasser. »Davon unabhängig sollten wir uns etwas für die Zeit überlegen, wenn die Modifizierten volljährig werden. Diese Angelegenheit können wir während des Winters in aller Ruhe debattieren, um im Frühjahr eine Entscheidung zu treffen, sobald die Sippen zurückkehren. Es gibt da einige Fragen der Sicherheit, die ich in die Diskussion einbringen möchte.«
Navas Gesicht und Hals röteten sich.
Also waren alle bis auf Ruth und Nava bereit, wenigstens auf Alicias Anliegen einzugehen. Doch bisher plädierten nur Tom und Akashi dafür, dass uns uneingeschränkte Bürgerrechte zugestanden wurden. Neben mir rührte sich Paloma und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Liam zog seine Hand zurück und beugte sich vor. Ich spürte die Abwesenheit seiner Berührung und hätte am liebsten nach seiner Hand gegriffen. Doch stattdessen lehnte ich mich zurück, um das Geschehen zu beobachten.
Ruth verschränkte die Arme vor der Brust und nahm Blickkontakt zu Nava auf. »Also gut«, sagte sie widerstrebend. »Ich ziehe meinen Einwand gegen eine Verhandlung des Antrags von Alicia zurück. Trotzdem ist er unbegründet. Sie ist ein unfreundliches und schwieriges Kind. Bella, Michael und ich haben uns alle Mühe gegeben, sie gerecht zu behandeln und gleichzeitig zu berücksichtigen, was Hunter gefordert hat, als wir sie aufnahmen. Wir dürfen nie vergessen, dass sie potenziell gefährlich ist. Was hier gesagt wurde, ändert nichts an dieser Tatsache. Ich würde diesem Mädchen niemals den Rücken zukehren. Und was die Frage betrifft, ob sie meinen Neffen getötet hat: Er war ein guter Kletterer und wäre niemals einfach so in den Tod gestürzt. Wie gesagt, Alicia ist oft unfreundlich und wird leicht wütend. Vielleicht hat er etwas gesagt, das ihr nicht gefiel, worauf sie ihm einen Schubs gegeben hat. Für die Modifizierten ist es leicht, einen von uns zu töten.«
Paloma sog hörbar die Luft ein. Liam versteifte sich, und obwohl ich ihn nicht sehen konnte, spürte ich, wie Bryan vor Wut kochte. Alicia saß ruhig da, völlig reglos, als hätten Ruths Worte sie sprachlos gemacht.
Ich konnte nicht stillsitzen. Ich stand auf und blickte zu Nava, um sie auf mich aufmerksam zu machen.
»Chelo?«, sprach sie mich an. »Was möchtest du sagen?«
Dass Alicia freigesprochen werden sollte. Dass sie als Mensch behandelt werden sollte. »Darf ich mich direkt an den Rat wenden?«
Sie zögerte. »Aber sicher. Komm herauf, damit das Publikum dich hören kann.«
Mit unsicheren Schritten stieg ich zum Podium hinauf und blinzelte überrascht, dass man mir erlaubte, das Wort zu ergreifen. Ich wusste noch gar nicht, was ich sagen wollte, aber mir war klar, dass ich nicht tatenlos zusehen konnte, wie Ruth nicht nur Alicia, sondern uns alle so schlecht behandelte. Ich stellte mich neben Alicias Stuhl und legte ihr die rechte Hand auf die Schulter. Die Menge kam mir von hier oben viel größer vor, wie ein einziges Lebewesen. Zuerst kamen keine Worte. Alicia legte kurz eine Hand auf meinen Arm und blickte lächelnd zu mir auf. Ich schluckte, dann fing ich an und hoffte, dass ich den richtigen Tonfall traf.
»Gestern, am Markttag, der für uns alle ein großes Fest ist, stellten Liam und ich fest, dass wir von vielen Mitgliedern der Ostsippe geschnitten wurden. Wir verstanden nicht, warum. Wir, und damit meine ich die vier, die in Artistos leben, Bryan, Joseph, Kayleen und ich, haben versucht, ein Teil dieser Kolonie zu sein. Ich glaube, dass Alicia und Liam beschlossen haben, in ihren Gemeinschaften dasselbe zu tun.« Nach kurzem Schweigen fügte ich hinzu: »Es ist die einzige Möglichkeit, die wir haben.«
Die Menge raunte, und ich überblickte das Amphitheater, um die Stimmung einzuschätzen. Viele nickten, manche wirkten unsicher und ein paar feindselig. Ich suchte nach Jenna und rechnete fast damit, dass sie verschwunden war. Doch dann sah ich zu meiner Überraschung, dass sie die Stufen heruntergekommen war und mich aufmerksam beobachtete. Sie nickte kaum merklich, und ein zustimmendes Lächeln huschte kurz über ihre Gesichtszüge.
Ich fuhr fort. »Erlaubt uns, an der Diskussion teilzunehmen, bei der es um uns geht. Was Ruths Vorwürfe betrifft,
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