Sternenwind - Roman
Ratsmitglieder stellten Fragen, dann berieten sie sich, bevor sie eine Entscheidung trafen. Das würde Stunden beanspruchen.
Das Raunen vieler Gespräche hing in der Luft. Über uns waren die Behinderten und Alten von der Kulturgilde beschäftigt und stellten Tische mit kaltem Wasser und den Resten des gestrigen Festmahls auf.
Auf der Bühne saß der Stadtrat an zwei langen Banketttischen, Nava und Tom in der Mitte, Akashi und Ruth an den jeweiligen Enden. Zwischen Nava und Akashi hatten Lyssa und Wei-Wei Platz genommen. Ich konzentrierte mich auf die beiden. Lyssa war groß und blond, hatte hellblaue Augen und kleine Hände, die ständig vor ihrem Gesicht herumflatterten. Therese hatte sich wiederholt darüber beschwert, dass Lyssa sich immer für die Angeklagten einsetzte, ganz gleich, wie die Beweislage war. Lyssa sah sich selbst als Retterin der Unterdrückten. Also würde sie auf Alicias Seite stehen, vor allem, wenn sie ihre Schürfwunden bemerkte.
Wei-Wei jedoch würde höchstwahrscheinlich gegen Alicia stimmen. Sie war eine kleine dunkelhaarige und braunhäutige Frau mit Mandelaugen: still und nachdenklich, aber sehr streng. Ich wusste von mindestens zwei Zwischenfällen, nach denen sie wochenlange harte Arbeit empfohlen hatte. Jedes Mal war es um Jugendliche gegangen, die keine schweren Vergehen, sondern nur leichte Regelverstöße begangen hatten. Berüchtigt war sie für ihre Härte gegenüber den wenigen Erwachsenen, die zur Trunkenheit neigten. Aber das Schlimmste war, dass stets Misstrauen in Wei-Weis dunklen Augen stand, wenn sie uns in der Stadt begegnete.
Ich war mir ziemlich sicher, dass Tom für und Nava gegen Alicia war. Aber ich erinnerte mich an Palomas Hinweis, dass ich Nava nicht unterschätzen sollte.
Damit war nur noch Hunter übrig, der zwischen Tom und Ruth saß. Sein dünnes graues Haar hing beidseitig seines runzligen Gesichts herab. Alter und Verletzungen hatten seine Finger in Klauen verwandelt, aber er saß in aufrechter Haltung da. Während des Krieges hatte er die Verteidigungkräfte von Artistos geführt und war zum großen Helden der Stadt geworden. Ich hatte keine Ahnung, wie er über dieses Problem dachte, musste mich also damit begnügen, dass er den Ruf hatte, gerecht zu sein.
Neben Akashi stand ein leerer Stuhl am Tisch.
Nava räusperte sich ins Mikrofon. »Bitte beendet jetzt eure Gespräche. Wir werden in wenigen Augenblicken beginnen.«
Ich blickte mich noch einmal um. Jenna saß in der obersten Reihe, über der Menge. Der größte Teil des Amphitheaters lag bereits im Schatten, aber auf Jenna fiel ein heller Sonnenstrahl. Obwohl es nicht kalt war, trug sie einen Umhang aus Tatzenkatzenfell, der an den Schultern mit Gelbschlangenleder eingefasst war. Sie blickte gelassen auf den Stadtrat hinunter. Seit dem Erdbeben schien sie genauer zu beobachten, was in der Stadt vor sich ging. Ich stupste Liam an und zeigte nach oben. »Da ist Jenna.«
»Ich weiß.« Er drehte sich um, blickte in die Richtung, in die ich zeigte, und lächelte. »Sie ist eine erstaunliche Frau.«
Er klang überzeugt und gar nicht neugierig. Er war ein Vagabund und hielt sich nur etwa zehn Tage pro Jahr in der Stadt auf. Jenna nahm nie am Geschichtenabend oder am Markttag teil. »Hast du Geschichten über sie gehört?«
»Sie kommt jedes Jahr ein paarmal zu Akashi und mir, um mit uns zu reden.«
Jenna besuchte die Vagabunden? Sie sprach mit Akashi und Liam? Wann und warum? Was hatte sie gesagt? Ich wollte ihn danach fragen, aber Nava räusperte sich erneut. Also verkniff ich mir die Fragen und wandte mich wieder dem Podium zu. Die Lichter gingen an und erhellten die Gesichter des Stadtrats, die auf uns schienen.
»Guten Abend.« Nava lächelte. »Ich vermute, die rege Beteiligung bedeutet, dass sich die Neuigkeiten über die üblichen inoffiziellen Kanäle in unserer Gemeinschaft verbreitet haben.« Sie machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr. »Trotzdem freut es mich, euch alle hier zu sehen. Das dürfte dazu beitragen, unrichtige Gerüchte aus der Welt zu schaffen.«
Die Menge lachte leise und mit einer Spur von Nervosität.
»Wir haben uns versammelt, um einer offiziellen Beschwerde und einer Bitte nachzugehen. Beide wurden von Alicia Gupta von der Ostsippe eingereicht.« Nava sah mich an, dann überblickte sie den Rest der Menge, um die letzten Gespräche verstummen zu lassen. Sie runzelte die Stirn, als sie Jenna bemerkte, sagte aber nichts dazu. Dann winkte sie Gianna, die
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