Sternenwind - Roman
Recht auf Anhörung, nur auf anständige Behandlung.« Sie setzte sich wieder. »Für mich besteht kein Grund, in irgendeiner Weise auf ihre Anschuldigungen zu reagieren. Dieser Rat sollte ihren Antrag abweisen.«
Tom beugte sich vor. »Alicia hat sich gestern Nacht kurz in unserem Haus aufgehalten. Nach ihrem Besuch habe ich im Protokoll nachgeschlagen, das am Tag angefertigt wurde, als wir die sechs zurückgelassenen Kinder in unsere Obhut aufnahmen. Es stimmt, was Ruth sagt. Im Protokoll ist von ›Kriegsgefangenen‹ die Rede.« Er machte eine Pause, warf einen Blick zu Nava und nahm einen Schluck Wasser. »Aber wir sind gemeinschaftsrechtlich organisiert. Unsere Verfassung und unsere ursprünglichen Ideale verlangen flexible Anpassung an reale Entwicklungen der Gegenwart. Nur so kann eine Kolonie erfolgreich arbeiten. Schließlich behandeln wir auch die anderen fünf Kinder nicht wie Gefangene.« Er hielt inne und sah Ruth an. »Wir sind sogar darauf angewiesen, dass sie uns bei verschiedenen Aufgaben helfen.«
Ich dankte ihm stumm für seine Worte und drehte mich zur Menge um, weil ich sehen wollte, wie die Leute darauf reagierten. Einige nickten, andere unterhielten sich flüsternd mit ihren Nachbarn, wieder andere saßen reglos da, ohne dass ihre Miene eine Regung verriet. Ein paar machten einen feindseligen Eindruck, aber es war schwer zu sagen, gegen wen sie waren. Mein Blick streifte auch Garmin, der uns wie gehabt mit offener Feindseligkeit musterte.
Ich wandte mich wieder Tom zu, der kurz in meine Richtung und dann zu Paloma blickte. Er lächelte flüchtig, dann fuhr er mit starker Stimme fort. »Es ist wahr, dass unsere Vorfahren vor den anderen besiedelten Welten flohen, weil sie nicht daran interessiert waren, sich auf irgendeine Weise verändern zu lassen. Denn im Zentrum unseres Glaubens steht die Überzeugung, dass wir unsere Menschlichkeit bewahren wollen. Aber diese sechs« – er blickte auf uns, und seine Miene entspannte sich ein wenig – »haben nicht darum gebeten, als Modifizierte auf die Welt zu kommen. Wenn wir ihnen die Menschlichkeit absprechen, wäre das genauso, als würden wir ein Kind wegen eines Geburtsfehlers abweisen. So etwas tun wir nicht. Wir nehmen die Verletzten und die Behinderten an – alle, die anders sind – und geben ihnen Arbeit.«
Ich lächelte und hoffte, dass Tom meine Zustimmung bemerkte.
Wei-Wei meldete sich zu Wort und sprach in hartem, abgehacktem Tonfall. »Unser Volk kam hierher, um einen Ort zu finden, an dem alle Menschen gleichberechtigt zusammenleben können, ohne dass Geld oder Privilegien oder Wissenschaft einen Unterschied machen. Eine Welt, auf der wir frei von der Macht jener leben können, für die ein langes Leben und Gesundheit höhere Werte als die Menschlichkeit sind.« Sie sah mich an, uns alle, und ich erkannte die Angst hinter ihren zornigen Worten. »Die bloße Existenz dieser … Kinder bedroht den Frieden unserer Gemeinschaft. Wenn wir ihnen uneingeschränkte Rechte zugestehen, würde die Gefahr noch größer.«
Ein paar Leute klatschten. Es hätte mich interessiert, wer sie waren, aber bevor ich mich umdrehen konnte, hatte Nava eine Hand gehoben, um die Menge zum Schweigen zu bringen. Sie wandte sich an die blonde Frau, die neben ihr saß. »Lyssa, was meinst du dazu?«
»Beide Standpunkte haben ihre Berechtigung. Wir müssen keine Entscheidung treffen, wie wir diese sechs in …« Sie runzelte die Stirn. »… etwa einem Jahr als Erwachsene behandeln wollen. Heute müssen wir nur entscheiden, ob Alicia das Recht hat, eine Beschwerde gegen Ruth einzureichen. Ich sage, dass sie das Recht dazu hat. Dabei spielt es keine Rolle, wer oder was sie ist oder nicht ist.« Sie breitete die Hände aus, um die Menge einzuschließen. »Hier geht es nur darum, dass wir gerecht sein sollten, dass wir jemandem, der so schwer verletzt und benachteiligt wurde, erlauben sollten, sein Anliegen vorzutragen.«
Nava nickte. »Akashi?«
Akashi sah zu uns und lächelte, als er Blickkontakt mit Liam aufnahm. »Meinem Sohn stehen die gleichen Rechte wie allen anderen zu. Also gilt das auch für seinesgleichen.«
»Hunter?«
Ich beobachtete ihn aufmerksam. Seine verletzten Hände lagen auf dem Tisch, und er sprach langsam und bedächtig. Seine Stimme war im Alter sanfter geworden, aber darin schwang immer noch die Autorität eines Anführers mit. »Lyssa hat im Wesentlichen recht. Ruth hat eine Problematik angesprochen, die nicht jetzt gelöst
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