Sternenwind - Roman
war.
Alicia ritt neben Joseph. Tom, Paloma und Kayleen schlossen hinter uns auf, so dass wir eine Vierer- und Dreiergruppe bildeten. Joseph und ich waren von unseren Freunden umringt. Paloma stimmte ein Lied an, und Liam fiel ein, dann auch Alicia. So arbeiteten wir uns über den schmalen und steilen Weg empor zu den Felsen, die unsere Familie getötet hatten. Die Freude des Reisens fiel völlig von mir ab und wurde von einer drückenden Schwere ersetzt.
Die Felsen waren so groß, dass es schien, als hätten sie schon jahrelang, schon immer dort gelegen – abgesehen von der Spur aus aufgerissener Erde, die sie hinterlassen hatten. Die dunkle, zerklüftete Steilwand neben uns sah wie eine offene Wunde aus, verglichen mit dem üblichen monotonen Grau der Steilwand. Immer wieder mussten wir schmutzigen Wurzelballen oder zersplitterten Baumstämmen ausweichen, die durch die Lawine auf die Straße gelangt waren. Um einen ausreichend breiten Weg zu finden, folgten wir den Wagenspuren der Ostsippe, die zweimal scharf abbogen.
Liam führte uns an. Joseph schloss die Augen und schwankte. Tom kam an seine Seite und beobachtete ihn schweigend. Zweimal hatte ich den Eindruck, dass Joseph im nächsten Moment von Sprinters Rücken rutschen würde. Er sackte kraftlos in sich zusammen und hatte jede Farbe verloren. Sprinter drehte gelegentlich den Kopf nach hinten, als würde auch er sich Sorgen um Joseph machen. Ich fragte mich, welche speziellen Erinnerungen ihn in diesem Moment heimsuchten.
Tränen liefen über Kayleens Wangen.
Ich versuchte mich ausschließlich auf meine Freunde, meinen Bruder und Tigers Ohren zu konzentrieren und die grau-braunen Felsen auszublenden. Kurz vor dem Ende schloss auch ich die Augen und vertraute darauf, dass Tiger Liam folgte. Als ihre Schritte schneller wurden, öffnete ich die Augen wieder.
Vor mir verlief der Weg wie gewohnt. Wir trieben die Gebras zu einem langsamen Galopp an. Nur vereinzelte faustgroße Steine lagen herum, und die Gebras konnten ihnen mühelos ausweichen. Joseph schien sich wieder gefangen zu haben. Er beugte sich über Sprinters hohen Widerrist, eine Hand auf dem Sattelknauf vor ihm. Sprinters Katzennarbe war deutlich zu erkennen, eine dunkle Mondsichel in seinem grasfarbenen Fell. Tom blieb mit Zuckerweizen in Sprinters Nähe und behielt Joseph im Auge.
Je weiter wir uns von der Steinlawine entfernten, desto besser wurde meine Stimmung. Wir hatten Artistos endgültig hinter uns gelassen. Wir hatten eine Aufgabe, die gleichzeitig eine Prüfung war, aber wir waren außerhalb der Stadt und wurden nur von den zwei ursprünglichen Menschen begleitet, die uns am meisten mochten. Natürlich waren Tom und Paloma auch unsere Bewacher. Als Navas Ehemann würde Tom berichten, wie wir uns bewährten. Aber wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre mir nur Gianna als Alternative eingefallen. Außerdem war Tom stark und konnte mit seiner Betäubungswaffe umgehen. Diese Fähigkeit konnte uns sehr nützlich werden. Auch wenn Nava sich für diese beiden entschieden hatte, war ich froh darüber, dass sie unsere Bewacher waren. Wie auch immer wir unsere Probleme lösten, wir mussten uns vor niemandem verstecken. Oder kaum.
Wir ritten weiter, bis wir den Lärm der Karawane nicht mehr hörten, bis wir mit unseren Reit- und Lasttieren allein waren. Ich war ganz auf das Reiten konzentriert, als hätte ich auf Tigers Rücken nicht nur die Tragödie an den Felsen, sondern auch die Freude über unsere neue Freiheit verloren. Wir wurden erst langsamer, als der Pfad zu steil für die Tiere wurde und sich den letzten Hügel vor den zwei Seen hinaufwand. Die Sonne brannte heiß vom Himmel. Der Weg über die Serpentinen fühlte sich wie ein einziger langer schaukelnder Traum an, während die Gebras unablässig einen Fuß vor den anderen setzten.
»Wie kriegen sie die Wagen hier rauf?«, fragte ich Liam.
Er lachte. »Nicht ohne Schwierigkeiten. An dieser Stelle steigen die Menschen ab und führen die Gebras. Später wird es noch viel schlimmer. Auf diesem Weg gibt es Abschnitte, wo sie die Wagen sogar entladen müssen.«
Ganz oben, auf einer großen Lichtung, die von Wagenspuren und Hufabdrücken eingeebnet worden war, hielten wir an, um in aller Ruhe einen Blick auf Artistos und die Ebene zu werfen, während wir darauf warteten, dass die Wagen uns einholten. Aus drei Richtungen wanden sich Wege den Berg hinauf. Hier würden wir uns von den Vagabunden trennen und in Richtung der Seen weiterziehen,
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