Sternenwind - Roman
festem Gestein hinterlassen würde.
Joseph ging zum Felsbrocken hinüber und glitt mit den Fingern über die glatte Stelle. »Es fühlt sich wie geschmolzen an.«
»Es war geschmolzen«, sagte Alicia.
Liam nickte. »Wo die wichtigsten Kämpfe stattfanden, gibt es viele solcher Schussnarben. Seht euch aufmerksam am See um.«
Ich wollte den Krieg nicht rekonstruieren, ich wollte, dass er aus der Welt war. Dummerweise waren wir mitten in dieser Zeit geboren worden und hatten uns nie von seinem Schatten befreien können.
Die Wagen der Vagabunden kämpften sich jetzt den steilen Weg unter uns hinauf. Wir warteten geduldig. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten sie sich viel mehr Zeit lassen können. Sobald sie uns erreicht hatten, würde sich unsere kleine Gruppe endgültig von ihnen trennen. Die Westsippe und das Wissen der Vagabunden hatten für mich die Bedeutung von Freundschaft und Unterstützung. Ich warf einen Blick zu Alicia hinüber. Zweifellos kannte sie Teile des Landes, das wir bereisen würden.
Liam stand eine Weile hinter mir, hatte die Arme um mich geschlungen und die Hände auf meinen Bauch gelegt. Mein Kopf passte genau an seine Schulter. Noch vor zwei Jahren war ich die Größte von uns gewesen, doch Liam und Bryan hatten mich im vergangenen Jahr überholt. Liam beugte sich herab und flüsterte: »Viel Glück.« Dann küsste er mich behutsam auf die Wange. Seine Lippen fühlten sich wie heiße Federn an, es war fast ein Brennen auf meiner Haut.
Meine Stimme klang stockend, als ich ihm antwortete. »Das wünsche ich auch dir. Pass in diesem Winter gut auf dich auf.«
Er umarmte auch Kayleen und küsste sie auf den Kopf. Sie schlang die Arme um ihn, so dass er zurücktreten und sich vorsichtig aus ihrer Umklammerung befreien musste. Dann wandte er sich Alicia zu, die sich distanzierter verhielt und ihm eine Hand hinstreckte. Er nahm sie und lächelte Alicia an. »Auch dir viel Glück und eine gute Reise.«
Sie lächelte zurück. »Sag Akashi, dass ich ihm noch einmal danken möchte.«
»Das werde ich tun.« Er sah Joseph an. »Viel Spaß. Behalt die drei Unruhestifterinnen gut im Auge.«
Joseph nickte nur, als hätte er nach dem Ritt über den Hochweg immer noch nicht die Sprache wiedergefunden.
Tom und Paloma waren bereits aufgestiegen, und wir taten es ihnen nach. Liam ritt zu seiner Sippe zurück. Er drehte sich noch einmal um, als er die erste Biegung der Serpentine erreicht hatte. Er grinste breit und winkte uns zu.
Wir winkten zurück und folgten Paloma, die den schmalsten der drei Pfade nahm, in Richtung Kleiner Samtsee. Tom übernahm die Nachhut.
Wir ritten fast eine halbe Stunde und drängten uns an manchen Stellen durch Unterholz, das versuchte, den Weg zurückzuerobern. In der Nähe plätscherte ein Bach, der nur stellenweise sichtbar wurde. Wir überquerten ihn zweimal. Die Hufe der Gebras traten auf die feuchten Steine und spritzten mir kühles Wasser an die Beine. Der schmale Weg zwang uns dazu, hintereinander zu reiten. Ich beobachtete Tigers Ohren und ihre aufmerksamen Kopfbewegungen. Sie blickte sich ständig nach allen Seiten um und prüfte schnuppernd die Luft. Das erinnerte mich daran, dass hier im Wald Tatzenkatzen, Dämonenhunde, wilde Orris und Gelbschlangen lebten.
Alsbald erreichten wir die Kuppe eines hohen Hügels, und Tom rief uns zu, dass wir anhalten sollten. Der See unter uns war ein großer tiefblauer Kreis, an den Rändern etwas heller, von den verschiedensten Grünschattierungen umgeben. Dichter Wald stieß bis ans Ufer. Auf der gegenüberliegenden Seite erhoben sich Hügelketten bis zum Kraterrand, der mit kleinen Baumgruppen besetzt war. Die Sonne stand fast genau im Zenit, so dass kein Schatten auf den See fiel. Die Wasserfläche war glatt und sah sehr kühl und einladend aus. »Das Ganze ist ein Meteoritenkrater.«
Ich schluckte und versuchte mir die Größe des Meteoriten vorzustellen. Es würde Tage dauern, mit den Gebras den See zu umrunden. Der Fels, der dieses Loch geschaffen hatte, musste groß wie ein Berg gewesen sein.
»Was würde geschehen, wenn es jetzt wieder zu einem solchen Einschlag kommt?«, fragte Kayleen.
»Wir würden alle sterben«, sagte Paloma.
»Wir befinden uns gerade in einem Meteorschauer«, sagte Kayleen mit aufgerissenen Augen.
Paloma lächelte. »Dieser Brocken hatte die Größe eines kleinen Mondes. Im jetzigen Schwarm hat Gianna nichts gefunden, das auch nur annähernd so groß ist wie der Stein, der diesen See
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