Sternenwind - Roman
Versuchung führen.«
Ich sah Paloma interessiert an. War es eine Versuchung? Wäre sie gern wie wir?
Tom stand auf und ging eine Weile auf und ab. Immer wieder blickte er in die Richtung, in der die anderen verschwunden waren. »Wir wissen, dass Josephs Angst dafür verantwortlich ist. Ich weiß nicht, wie ich etwas daran ändern kann. Aber wir werden es später mit recht komplizierten Aufgaben zu tun bekommen. Dieses Problem könnte auch Kayleen lösen, aber ich möchte, dass Joseph es übernimmt.« Er dachte einen Moment lang nach. »Ich möchte, dass er klein anfängt. Dieser Knoten sendet immer noch gute Diagnosedaten. Es ist nur so, dass er sich nicht mehr mit den anderen verbinden kann. In der Nähe gibt es einen weiteren, bei dem es genauso aussieht. Der Monitor hat das Signal empfangen. Wahrscheinlich schaffen wir es, diesen Knoten wieder ans Netz anzuschließen, da man die anderen ausgetauscht hat, die durch die Steinlawine beschädigt wurden.« Er setzte sich neben Paloma. »Ich möchte, dass Joseph so wenig wie möglich abgelenkt ist, dass nur Chelo und ich in seiner Nähe sind. Dann werden wir sehen, wozu er imstande ist. Sobald er wieder hier ist. Bevor er die Gelegenheit erhält, noch länger über sein mögliches Versagen nachzudenken.« Er blickte von mir zu Paloma. »Was meinst du?«
Paloma nickte.
»Vielleicht wäre es einfacher für ihn, wenn nur ich mit ihm zu tun hätte«, bot ich an.
»Nein. Vergiss nicht, dass wir uns in der Wildnis befinden.«
Er hatte recht. Ich betrachtete die Betäubungswaffe an seinem Gürtel. »Gut.« Ich hatte noch eine weitere Frage. »Was geschieht, wenn Joseph es nicht schafft?«
»Dann werden wir es noch einmal probieren.«
»Ich meine, während dieses gesamten Ausflugs. Wenn er es gar nicht mehr schafft.«
»Ich weiß es nicht. Die Kolonie würde einen Großteil an Sicherheit verlieren, und ihr hättet einen Pluspunkt weniger.« Er zögerte und schluckte. »Niemand von uns ist gern auf euch angewiesen, insbesondere Nava und Leute wie Wei-Wei und Ruth, die den Krieg nicht vergessen können. Aber es wäre dumm, Fähigkeiten nicht zu nutzen, die uns dabei helfen, auf dieser Welt zu überleben.«
Er sagte es nicht, aber mir war klar, dass diese Reise ausschlaggebend dafür sein würde, welche Rechte man uns zugestand.
Also beschlossen wir, es so zu machen. Alicia, Kayleen und Joseph kehrten jeder mit einem Arm voller Feuerholz zurück, und Paloma zog noch einmal mit Kayleen und Alicia los, um Kräuter und Früchte zu sammeln und nach den langen dünnen Wurzeln der Lakritzrebe zu graben. Sie nahm ihre Betäubungswaffe mit.
Joseph und ich spazierten in der Nähe der Begrenzung entlang. Wir sahen uns die kleine Kapsel an der Spitze des Masts an. Von außen wirkte sie unversehrt. Obwohl die Spitze während des Erdbebens zweifellos heftig geschwankt hatte – was vielleicht dazu geführt hatte, dass die Kapsel verstummt war –, steckte der Mast immer noch fest im Boden.
Als wir uns auf den Rückweg machten, lief Joseph langsam und hatte den Blick zu Boden gerichtet. »Ich hätte mich nicht so leicht von Nava manipulieren lassen dürfen. Ich glaube, dass ich nicht einmal hier helfen kann. Mein Körper hat die Datenströme vergessen.«
»Paloma sagte mir, die Leute würden es als ›den Wind lesen‹ beschreiben.«
»Welche Leute?«
»Keine Ahnung. Sie hat den Begriff in den Datenbanken gefunden. Ich vermute, mit den Leuten sind die anderen Modifizierten gemeint. Wir sollten sie bitten, uns Zugang zu diesen Informationen zu geben.«
Er runzelte die Stirn. Obwohl wir zur Wissenschaftlergilde gehörten, hatten wir weniger Zugang zu den akademischen und historischen Aufzeichnungen als Kinder, die nur halb so alt waren wie wir. Seine Stimme klang verbittert. »Vielleicht können wir ihr dabei über die Schulter blicken.«
»Vielleicht.« Datenbankanfragen wurden registriert. Das hatten wir schmerzlich am eigenen Leib erfahren. Vor drei Jahren hatte Joseph die Sicherheitssperren überwunden, worauf Steven ihm eine schwere Strafe auferlegt hatte. Ich hatte immer noch Stevens Worte im Kopf: »Eure Fähigkeiten sind eine ernste Vertrauenssache. Wenn ihr sie missbraucht, werden wir dafür sorgen, dass ihr sie nie wieder anwenden könnt.« Es war eine der seltenen Gelegenheiten gewesen, bei denen Steven ihm gegenüber laut geworden war. Soweit mir bekannt war, hatte Joseph seitdem nie wieder diese Regel verletzt. Allerdings ging mir durch den Kopf, dass wir
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