Sternenzitadelle
plötzlich verschwanden. Zahlreich waren jene, die an eine Intervention antiker planetarischer Gottheiten glaubten, und diese Menschen verehrten ihre Götter, man nannte sie Ephreniatiker. Zahlreich waren auch jene, die an ein natürliches Verschwinden glaubten, an die Vergänglichkeit, und jene Menschen hegten die Vorstellung, die Wissenschaft werde alle Geheimisse der Schöpfung erklären. Eine dritte Gruppe hingegen sah in diesem Phänomen ein neues Wunder von Tau Phraïm, und diese Menschen sangen auf den Straßen und priesen ihn.
Und es geschah, dass Tau Phraïm sie hörte. Er durchquerte das Reich der Toten und erschien ihnen in einer der Röhrenwerke der Großen Orgeln. Ihnen erklärte er, dass sie ihm eines Tages in der herrlichen Welt der Großen Indda begegnen würden, sollten sie nach seinen Regeln leben.
Die Neun Evangelien von Ephren
»Taten und Wunder Tau Phraïms«
D er Privatsekretär des Kardinals d’Esgouve tupfte sich nervös die Stirn ab. »Ich habe den Eindruck, dass die Aufständischen die Überhand gewinnen«, sagte der Vikar Grok Auman klagend mit seiner hohen Fistelstimme.
Der Kardinal, der Vikar und die fünf ständigen Missionare hatten sich in das oberste Stockwerk des kreuzianischen Tempels, in Onikis Zimmer geflüchtet. Der Vikar hatte den Körper der jungen Frau mit einem seidenen Betttuch bedeckt. Oniki hatte nicht protestiert, denn ihre Wunden waren fast verheilt. Außerdem war sie dem Mann für diese Geste dankbar, schützte er sie doch vor den lüsternen Blicken der Missionare.
»Wir hätten in den Raum fliehen sollen, wo die Deremats stehen«, sagte einer der Missionare. »Das Dachgeschoss bietet keinerlei Fluchtmöglickeiten.«
»Ihr könnt gehen, wohin Ihr wollt, Bruder Antor!«, zischte der Vikar. »Dann könnt Ihr dem Mob ja erklären, dass Ihr Euch auf Syracusa transferieren lassen wollt!«
»Beruhigt Euch!«, mischte sich Kardinal d’Esgouve ein. Er saß auf einem Stuhl am Fuß des Bettes. »Die Pritiv-Söldner sind uns alle ergeben. Mit Unterstützung der Interlisten gelingt es ihnen hoffentlich, die Lage zu unseren Gunsten zu ändern.«
»Das sind fünfhundert gegen mehrere Tausend. Selbst ihre Kampferfahrung scheint mir gegen diese Überzahl
reichlich unzureichend, Eure Eminenz!«, knurrte Grok Auman.
»Dann betet eben zum Kreuz, anstatt zu greinen wie ein altes Weib!«
Seit dem plötzlichen und unerklärlichen Verschwinden der Scaythen von Hyponeros schien der Kardinal sein Denkvermögen wiedererlangt zu haben und zum großen Leidwesen seines Sekretärs ebenfalls seine Spottlust, deren Ziel er oft wurde.
»Ich fürchte, dass die Kraft meines Gebets ebenso unzureichend ist«, murmelte der Vikar. »Und ich glaube, dass die Aufständischen von dem Verschwinden der Scaythen vorher gewusst haben.«
»Das ist absurd!«, rief der Kardinal. »Niemand konnte das vorhersehen. Die Scaythen sind keine menschlichen Wesen. Vielleicht hatten sie einfach ihre Existenz beendet. Ihre Zeit war abgelaufen.«
Die Koinzidenz jedoch war beunruhigend: Die Aufständischen hatten ihre Offensive zu dem Zeitpunkt begonnen, als die Scaythen verschwanden.
Das blaue Licht Xati Mus fiel in breiten Bündeln durch die noch intakten Röhrenwerke der Großen Orgeln. Tausende mit Harpunen, Gartengeräten oder Kochwerkzeugen bewaffnete Männer und Frauen (weil der Korallenschutzschild so fragil war, hatte immer Waffenverbot auf Ephren geherrscht) waren aus ihren Häusern geströmt und zum Tempel gelaufen.
Grok Auman erleichterte gerade sitzend seine Blase, als er den Tumult hörte. Er wusste sofort, was das bedeutete, und hatte sich schnell wieder angezogen, wobei er den unpraktischen Colancor verfluchte und den Zwang, wie eine Frau urinieren zu müssen.
Ein paar Stunden zuvor hatte ein alter Pülonier namens Cal Pralett um eine Audienz bei Xaphox gebeten, um den Großinquisitor zu informieren, dass der Captain seines Schiffs, ein gewisser Saül Harnen, Tau Phraïm, den Sohn von Oniki Kay, während einer Reparaturfahrt gefunden habe. Der Scaythe hatte einen Keim der Auslöschung in das Gehirn des alten Seemanns implantiert – er konnte sich an nichts mehr erinnern, nicht einmal daran, zum Tempel gegangen zu sein –, hatte dann den Captain Saül Harnen lokalisiert, einige interessante Informationen aus seinem Gehirn gelesen und eine Kohorte Pritiv-Söldner zu seiner Adresse geschickt.
Anschließend hatte er den Privatsekretär des Kardinals rufen lassen und ihm die Lage geschildert.
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