Sternhagelverliebt
tabu.
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11. Kapitel
Apfelschalen und andere Märchen
E in Geräusch reißt mich aus einem dieser lebhaften, realistischen Träume, die verblassen, sobald man aufwacht. Nur ein Nachgeschmack bleibt, und dieser Traum schmeckt nach Alkohol. Nach Tequila, glaube ich.
Warum, warum nur musste ich aufwachen?
Ich öffne die Augen. Die totale Finsternis um mich herum zeigt mir, dass es sehr, sehr spät sein muss.
Ich schlage die Bettdecke zurück und gehe ans Fenster. Mein Blick wandert über die gepflegten Außenanlagen. Der Himmel, der sich bis zum Horizont erstreckt, hängt voller Sterne. Schwarze Wolken jagen am Mond vorbei.
Mir ist heiß, und ich fühle mich fiebrig. Ich greife durch die Gitterstäbe und mache das Fenster auf. Die kühle Nachtluft dringt ins Zimmer. Es tut gut, den Wind auf meiner Haut zu spüren.
Nachdem ich zurück ins Bett geklettert bin, halte ich Ausschau nach meinen Freunden der Nacht, den Rissen in der Decke.
Zwar versuche ich, in meinen Traum zurückzufinden und wieder Teil der Party zu werden, aber irgendwie fühlt es sich schlecht und falsch an.
O Gott. Ich hatte nicht gerade einen User-Traum, oder? Nein, nein, natürlich nicht. Gut, ich habe davon geträumt zu trinken, sogar betrunken zu werden, doch der Traum war schön, stimmt’s? Er hat sogar Spaß gemacht. Ganz anders als bei Amys Drogen-Alpträumen.
Gott, Amy fehlt mir so. Ohne sie ist das Zimmer leer und einsam. Ich hoffe, dass sie gut zurechtkommt und dass Versuch Nr. 3 klappt.
Ich mache die Augen fest zu und zwinge mich, wieder einzuschlafen.
Und irgendwann funktioniert es.
Es ist Tag 11 :
Erkennen von wiederkehrenden Verhaltensmustern.
Ich stehe auf dem Weg und versuche, mich für den Lauf zu motivieren.
Okay. Heute sollte ich acht Minuten schaffen. Nicht mehr diesen erbärmlichen Fünf- oder Sechs-Minuten-Scheiß. Such dir einfach nur den längsten Song aus, den du auf dem iTouch hast, und renne, solange er läuft. Der Gewinner scheint
Hotel California
zu sein.
Also gut. Obwohl … eigentlich möchte ich keinen Song über einen Ort hören, den man niemals verlassen kann – nicht wenn man bedenkt, wo ich mich gerade befinde.
Ich suche nach dem zweitlängsten Lied. Es ist die Version der Pogues von
And the Band Played Waltzing Matilda.
Acht Minuten und elf Sekunden. Nein, nein, das ist ja noch schlimmer. Shane MacGowans whiskeygeschwängerte Stimme wird mich nicht vom Nachgeschmack meines gestrigen »Vielleicht-User-Traums« ablenken.
Also doch
Hotel California.
Ich dehne mich noch ein letztes Mal, stecke mir die Kopfhörer in die Ohren und mache dann einen Schritt nach dem anderen. Es ist genauso schmerzhaft wie immer; das Laufen scheint nicht leichter zu werden. Zumindest nicht für mich.
Ich erinnere mich an das letzte Mal, als ich zu diesem Lied getanzt habe. Es war mit Zack auf dem Abschlussball der Highschool. Ich wusste, dass ich in die Stadt gehen würde, sobald ich bei der Abschlusszeremonie meine Kappe in die Luft geworfen hätte. Meine Kurse an der Universität begannen zwar erst in ein paar Monaten, doch ich wollte Zeit haben, um mich einzuleben und einen Job zu finden, um das Schulgeld zu bezahlen, das meine Eltern sich nicht leisten konnten. Ich hatte Zack zwar erzählt, dass ich gehen würde, aber ich hatte ihm noch nicht offenbart, dass ich keine Fernbeziehung wollte. Ständig hatte er mich damit genervt, den Sommer mit ihm zusammen in der Stadt zu verbringen, und immer wieder hatte ich ihn hingehalten. Er sprach das Thema erneut an, als wir in der Turnhalle tanzten. Ich bin mir nicht sicher, woran es lag, doch irgendwie rastete ich aus und sagte nein.
Es passierte in dem Moment, als das Lied schneller wurde. Wenn die Drums einsetzen und man nicht mehr langsam tanzen kann. Plötzlich ließ er die Arme sinken und löste sich aus meiner Umarmung. Im nächsten Moment war der Song zu Ende, und Zack war nicht mehr mein Freund.
Die Drums setzen ein, und ich laufe schneller, um mich dem Rhythmus anzupassen. Dah, dah, dah, dah, dah, dah. Bumm, bumm, bumm, bumm.
Das Lied endet, als ich auf den Kiesweg treffe, der durch das Eingangstor führt. Amber steht mitten auf der Straße, hat die Arme vor der Brust verschränkt und starrt wieder einmal das Tor an. Ihr Haar ist zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Ich ziehe die Kopfhörer aus den Ohren und werfe einen Blick auf Amys Uhr.
Acht Minuten. Ich habe es geschafft! Und nicht ein Affe in Sicht.
»Was ist los?«, frage ich.
Sie wendet die
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