Sternhagelverliebt
Augen vom Tor. »Nicht viel. Danke übrigens für gestern.«
»Mach dir darüber keine Gedanken.«
Sie mustert mich von oben bis unten. »Dein Gesicht ist fürchterlich rot …«
»Ein Risiko des gesunden Lebens.«
»E. wird auch immer ganz rot, wenn er joggt. Rote Haare, rotes Gesicht, überall rot.«
»Klar. Also, wohin haben sie dich gestern gebracht?«
»Nur in mein Zimmer. Und dich?«
»Ich durfte mir eine Predigt von Dr. Houston anhören.«
Sie grinst. »Darüber, dass du dich von schlechten Einflüssen wie meiner Wenigkeit fernhalten sollst?«
»Tatsächlich hat er so etwas gesagt.«
»Typisch.« Sie kickt mit dem Fuß einige Kieselsteine weg. »Findest du nicht, dass Connor echt beschissen aussieht?«
Ja. Die richtige Antwort auf die Frage lautet: ja.
»Denke schon. Aber ich habe ihn vorher noch nie getroffen, also habe ich keine Vergleichsmöglichkeit.«
Sie wirkt unglücklich. »Ich wünschte, ich könnte dasselbe sagen.«
»Was sollte das gestern eigentlich?«
»Ich wollte nur sagen, wie es ist.«
»Na ja, zumindest hast du dein Lampenfieber überwunden.«
»Mit deiner Hilfe.« Sie blickt wieder zum Eingangstor.
»Hast du schon einen Weg entdeckt, um hier rauszukommen?«
»Noch nicht.«
»Ich wüsste einen.«
Abrupt dreht sie den Kopf zu mir. »Welchen?«
»Sitz deine Zeit einfach ab. Irgendwann werden sie dich rauslassen.«
Der Anflug eines Lächelns huscht über ihre Lippen. »Du bist keine große Hilfe.«
»Ich würde gern noch mal zu etwas zurückkommen, das wir neulich schon einmal angeschnitten haben, Katie«, sagt Saundra während unserer Therapiesitzung. »Zu Ihrer Familie.«
Ich lehne mich in meinem Sessel zurück und strecke meine Beine aus, so dass sie an die Vorderseite von Saundras Schreibtisch stoßen.
Sollte man während einer Therapie nicht auf einer Couch liegen? Ich würde mich jetzt wirklich gern hinlegen.
»Was ist mit meiner Familie?«
»Sind Sie ihr nahe?«
»Nicht besonders.«
Sie nimmt einen Schluck Kaffee aus ihrem mit Hunden bemalten Becher. »Warum, glauben Sie, ist das so?«
»Ich weiß nicht. Wir waren uns nahe, doch irgendwie hat sich das im Laufe der Zeit geändert.«
»Wegen Ihrer Alkoholsucht?«
Eine Welle der Müdigkeit erfasst mich. »Nein, es war … vorher.«
»Können Sie es einordnen?«
Ich denke zurück an die Zeit, bevor ich nicht mehr zu Weihnachtsfesten und Geburtstagen erschienen bin. An die Zeit, bevor ich die Anrufe meiner Mutter gemieden oder ihr nur mit halbem Ohr zugehört habe. An die Zeit, bevor irgendetwas – was auch immer es gewesen sein mag – meine Schwester dazu veranlasst hat, mich nicht mehr zu vergöttern, sondern mir für alles die Schuld zu geben, was in ihrem Leben schiefgelaufen ist.
»Ich schätze, es passierte, als ich auszog, um zur Universität zu gehen. Vielleicht sogar schon davor. Ich erinnere mich nur daran, das Gefühl gehabt zu haben, vor meinen Eltern davonlaufen zu müssen. Und immer, wenn ich nach Hause zurückkehrte, hatte ich mich ein Stück weiter von ihnen entfernt.«
Über den Rand ihres Kaffeebechers hinweg sieht sie mich an. »Und trotzdem haben Sie sich, als Sie sich entschlossen, Hilfe zu suchen, für eine Einrichtung entschieden, die in ihrer Nähe ist.«
Genau. Aber das war Ambers Schuld, nicht meine.
»So habe ich das noch nicht gesehen.«
»Denken Sie, dass Sie vielleicht – unterbewusst – wussten, dass Sie auch Ihre Familie brauchen, um wieder gesund zu werden?«
»Ich weiß nicht. Es wäre möglich.«
»Sie sollten darüber nachdenken, sie zur Familientherapie einzuladen. Ich glaube, Sie würden wirklich davon profitieren.«
Sämtliche Muskeln in meinem Körper sind mit einem Mal angespannt. »Ja, vielleicht.«
»Wollen Sie ihnen denn wieder nahe sein?«
»Jeder wünscht sich doch ein Happy End, oder? Mit liebenden Eltern, dem perfekten Mann und einem weißen Holzzaun vorm Haus.«
Sie lächelt. »Ich wette, im Augenblick fühlt es sich so an, als wäre das alles in unerreichbarer Ferne.«
»Klar. Ich meine, man kann kein Happy End erleben, wenn man nie richtig verliebt war.«
O Gott, warum habe ich das gesagt? Durch den Schlafmangel bin ich offenbar irgendwie benommen. Und jeder weiß, dass man in solchen Situationen wie ein Besoffener ist und dass Besoffene dumme Sachen tun und sagen.
»Möchten Sie jemandem nahe sein?«
»Ja, natürlich.«
»Und was hält Sie davon ab?«
»Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich habe noch niemanden getroffen, mit dem
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