Sternstunde der Liebe (German Edition)
zu zwingen, trotz des Aufruhrs der Gefühle, der in ihrem Innern tobte. Jedes einzelne Tier der Herde in Augenschein nehmend, vergewisserte sie sich, dass sämtliche Papiere in Ordnung waren. Die Amtsärzte waren unerbittlich, und sie hielt es für ihre Pflicht, dafür zu sorgen, dass alle Milchkühe in erstklassigem Zustand waren.
»Das war’s«, sagte Edward, als sie ihren Arztkoffer schloss und in den Hof hinaustrat.
»Ich komme morgen wieder. Für den Fall, dass uns ein paar Kätzchen entgangen sind.«
»Würdest du auch dann kommen, wenn alle Katzen aus dem letzten Wurf plötzlich ein neues Zuhause fänden?« Seine warmen braunen Augen sahen sie forschend und doch scherzhaft an.
»Selbstverständlich.«
»Ich weiß.« Er legte den Arm um ihre Schultern, liebkoste ihren Rücken. »Um Blue zu sehen … du würdest Blue nie lange alleine lassen, oder? Das ist für mich der einzige sichere Weg, dich zur Rückkehr zu bewegen.«
»Ich liebe Blue.« Ihre Stimme war leise, als sie seine Hand nahm. »Und du bist mein Freund, Edward. Ich komme her, um dich zu sehen.«
»Wenn Sie es sagen, Dr. Larkin«, erwiderte er. »Wenn Sie es sagen.«
»Ich habe dir geholfen, die Abhandlungen für das Stipendium zu lesen, das die Stiftung deiner Mutter vergibt, oder nicht?«
Ihre Beziehung hatte unlängst Fortschritte gemacht. Rumer mochte Edward sehr, aber dann und wann hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie wusste, dass Edward mehr für sie empfand. Im Laufe der Jahre war sie mit vielen Männern in Black Hall ausgegangen; sie hatte stets das Gefühl gehabt, dass er geduldig wartete.
»Wie wäre es, wenn ich dich am Samstag zu einer Hochzeit entführen würde? Reicht dir das als Beweis?«, fragte sie.
»Schon möglich«, grinste Edward.
»Also gut.« Sie erklärte ihm die Einzelheiten.
Die untergehende Sonne breitete ihr goldgelbes Licht über Felder, Wiesen und Steinmauern, hüllte das Land mit ihren goldenen Fäden ein, erfüllte Rumer mit einer tiefen, unergründlichen Sehnsucht. Blue stand im hohen Gras, schlug mit seinem schwarzen Schweif, bereit, bis zum fernen Horizont zu laufen, wo die Erde endete und der Himmel begann. Wie ein Junge, den sie früher gekannt hatte …
Sie stieg in ihren Pick-up, winkte Edward ein letztes Mal zu und fuhr los. Als sie in die Küstenstraße einbog, klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Sie wusste nicht, was sie zu Hause vorfinden würde. Oder genauer gesagt, wen. Sie hatte das Gefühl, in einer Art Count-down zu leben: Die Sekundenzeiger der Uhr tickten unerbittlich, bis sie sich dem Mann gegenübersehen würde, den sie inzwischen mehr als alles in der Welt hasste.
4
E s war Mittwoch, irgendwann am späten Vormittag, als das Geräusch eines Motors ihn aufweckte. Verdutzt blickte Michael Mayhew sich um. Eine Lokomotive hielt auf sie zu. Nein, sie lieferten sich ein Wettrennen mit einem Zug. Sie befanden sich auf irgendeiner Landstraße, fuhren parallel zu den Eisenbahnschienen, an einem Salzsumpf und einer Ortschaft mit kleinen Häusern vorbei. Er sah flüchtig zu seinem Vater hinüber, der eine Sonnenbrille trug; die Sonne blitzte hinter einer Baumreihe hervor.
»Wo sind wir?«, fragte Michael.
»Wir sind da.«
»Waaas?« Michael rieb sich die Augen, nahm die Abgeschiedenheit ihrer Umgebung war, hoffte, dass sein Vater scherzte. »Das ist es?«
Ohne zu antworten betätigte sein Vater den Blinker, bog rechts ab und fuhr unter einem Eisenbahnviadukt hindurch, während der Zug über sie hinwegdonnerte. Michael sah das geschnitzte Holzschild: HUBBARD’S POINT. Es wirkte schlicht und verwittert, hing dort vermutlich seit Ewigkeiten. Sein Vater holte tief Luft, mit weit aufgerissenen Augen, als hätte er ein Gespenst entdeckt und wäre sich nicht sicher, wie er reagieren sollte.
»Von mir aus können wir umkehren«, schlug Michael vor. »Ich hätte nichts dagegen, wenn wir gleich wieder nach Kalifornien zurückfahren.«
»Ich fahre keine fünf Minuten mehr mit dir, ganz zu schweigen von fünf Tagen. Hast du plötzlich deine Sprache wiedergefunden? Das ist mehr, als du während der ganzen Fahrt von dir gegeben hast.«
Michael blickte aus dem Fenster. Er wusste, es hatte keinen Zweck, sich auf eine Diskussion einzulassen. Seinen Vater und ihn trennten von jeher Welten – sein Vater wollte sich nur einreden, dass sie eines Tages zueinander finden würden. Allein der Gedanke bewirkte, dass er sich auf einenSchlag besser fühlte. Gut so, dachte er, während sie einer
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