Sternstunde der Liebe (German Edition)
meinen Schülern vierzig Jahre lang die Legende von Ceres eingebläut, und Clarissa und sie haben eines gemein: Töchter. Sie haben ihre Töchter geliebt, bis ins Grab oder, wie im Fall von Ceres, bis in die Tiefen der Unterwelt. Außerdem beginnen beide Namen mit dem Buchstaben C.« Während Sixtus redete und redete, war ihm bewusst geworden, dass er gegen seinen eigenen Hang zum Aberglauben anzukämpfen versuchte. Am Ende hatte die Liebe zu Clarissa gesiegt, und er hatte Rumer das Zeichen gegeben, die Champagnerflasche zu schwingen und das Schiff zu taufen.
Während Sixtus diese Erinnerungen durch den Kopf gingen, begann er, eine Checkliste zu schreiben. Er wollte Samstag bei Morgengrauen mit der Flut auslaufen und verhindern, dass ihm weitab von der Küste der Proviant ausging. Als er ein Boot vorbeituckern hörte, hob er den Kopf und sah, wie Michael und Quinn die Hummerfallen überprüften.
»Nanu, was ist denn das?«, rief Sixtus ihnen über das Wasser zu.
»Hallo, Six!«, rief Quinn.
Michael winkte.
Sie mit einer Geste herbeiwinkend, lehnte sich Sixtus auf die Lukenkimming. Er brauchte nicht mehr als fünf Sekunden, um sich einen Reim darauf zu machen: Die beiden waren ineinander verliebt, und zwar schwer. Sixtus stieß einen langen, bedächtigen Pfiff aus und dachte daran, was Quinns Tante und Michaels Vater bevorstand.
»Warum bist du nicht in der Schule?«
»Muss arbeiten«, erwiderte Quinn.
»Und was ist mit dem Sommerkurs? Das gilt auch für dich, Michael.«
»Ich helfe Quinn«, entgegnete er, doch aus dem verwunderten Ausdruck, der über Quinns Gesicht huschte, schloss Sixtus, dass sie möglicherweise nichts von Michaels abgebrochener schulischer Laufbahn wusste.
»Hummerfang ist gut und schön, aber ihr solltet an die Zukunft denken. Glaubt ihr, dass ihr beide in zehn Jahren noch zufrieden damit seid, mitten im Winter rauszumüssen und die Körbe einzuholen? Wenn es schneit, die Leinen gefroren und die Hände Eiszapfen sind?«
»Klar, warum nicht?«, erwiderte Quinn munter.
»Abgesehen davon schneit es heute nicht«, erklärte Michael. »Wir haben bestimmt an die dreißig Grad und die Sonne scheint. Das ist tausendmal besser als im Klassenzimmer zu hocken, Grandpa. Das wirst sogar du zugeben.«
»Mit dieser Einstellung, junger Mann, kommst du nicht weit; in den Tag hineinzuleben ist kurzsichtig. Carpe diem: Nutze den Tag. Das ist gut und schön, aber was ist mit morgen und übermorgen? Ihr müsst nach vorne schauen , alle beide … bis zum Horizont und darüber hinaus.«
»Der Horizont gehört dir, Sixtus.« Quinns Stimme klang respektvoll. »Du bist derjenige, der nach Irland segelt.«
»Das könnte ich aber nicht ohne Highschool-Abschluss.«
»Wieso denn das?«, fragte Michael.
»Vielleicht habt ihr bemerkt, dass dies ein klassisches Boot ist. Ich navigiere mit Hilfe eines Sextanten und eines Kompasses – dafür brauche ich Mathematik. Und für die Atlantik-Überquerung alle möglichen anderen Kenntnisse, die man in der Schule erwirbt. Literatur, Geschichte, Naturwissenschaften …«
»Warum brauchst du für die Überquerung Literatur?«, fragte Quinn.
»Um mir die Zeit zu vertreiben und um fit zu bleiben. Ich kann heute noch Gedichte aufsagen, die ich vor fünfzig Jahren auswendig gelernt habe, und kann ganz für mich alleine Passagen aus Macbeth zitieren, wenn ich mich langweile.«
»Das sehe ich direkt vor mir, Sixtus«, lachte Quinn.
»Ja, ich auch, Grandpa – mit Sicherheit hat Mom ihr Schauspieltalent von dir geerbt.«
»Versucht nicht, mich vom Thema abzulenken«, mahnte Sixtus. »Ihr seid beide eingeschrieben, und ihr geht hin. Ende der Diskussion.«
»Grrr«, fauchte Quinn in einer verblüffend wirklichkeitsgetreuen Nachahmung eines Tigers.
»Meckert, soviel ihr wollt, aber ihr geht, und damit basta«, wiederholte Sixtus mit Nachdruck; dann kehrte er ihnen den Rücken zu und machte sich wieder an die Arbeit.
Als sie vom Hummerfang zurückkehrten, rochen Michael und Quinn nach den Fischköpfen, die sie als Köder benutzten. Michael sah zu, wie sie das Boot an seinem Anlegeplatz festmachte, lernte den Unterschied zwischen Bug-, Heck- und Springleinen kennen. Sie bewegte sich anmutig, als hätte sie ihr ganzes Leben auf Booten verbracht, und er fand ihre Geschicklichkeit ungemein anziehend. Ganz anders als die Mädchen in L. A. – die schlaff und borniert wirkten. Sie war bodenständig, wirklichkeitsbezogen, Neuengländerin vom Scheitel bis zur Sohle.
»Was
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