Sterntagebücher
Tagewerk verrichteten. So arbeiteten alle gemeinsam zum Wohle der Allgemeinheit. Wir lebten in Frieden, Eintracht und Harmonie; unsere Zivilisation stand bald in hoher Blüte. Im Laufe der Jahrhunderte bauten die Erfinder Maschinen, die die Arbeit erleichterten, und dort, wo im Altertum hundert Minderlinge ihre schweißüberströmten Rücken beugen mußten, bedienten Jahrhunderte später nur noch zwei oder drei eine Maschine. Unsere Gelehrten vervollkommneten die Maschinen immer mehr, und das Volk freute sich; jedoch die nahenden Ereignisse bewiesen, wie fehl am Platze diese Freude gewesen war. Ein gelehrter Konstrukteur hatte Neue Maschinen geschaffen, so vortrefflich, daß sie ganz selbständig zu arbeiten vermochten, ohne jede Kontrolle. Und da fing die Katastrophe an. Je mehr Neue Maschinen in den Fabriken auftauchten, desto mehr Minderlinge verloren ihren Arbeitsplatz, und da nun der Lohn ausblieb, waren die Massen vom Hungertode bedroht…«
»Erlaube mir eine Frage, Indiote… Was geschah mit dem Gewinn, den die Fabriken brachten?«
»Wieso?« entgegnete der Partner. »Der Gewinn fiel doch den rechtmäßigen Eigentümern zu, den Erlauchten. Wie gesagt, eine Katastrophe stand bevor…«
»Aber was redest du, ehrenwerter Indiote!« rief ich aus. »Es hätte doch genügt, die Fabriken in gemeinschaftliches Eigentum zu überführen, und die Neuen Maschinen wären ein Segen für euch geworden!«
Kaum hatte ich das gesagt, da erbebte der Indiote, ließ ängstlich blinzelnd seine zehn Augen in die Runde schweifen und wackelte mit den Ohrlöffeln, forschend, ob nicht irgendeiner meine Worte gehört habe.
»Bei den Zehn Nasen Indas, ich flehe dich an, Fremdling, mache dich nicht zum Sprecher dieser entsetzlichen Ketzereien, die einen schändlichen Anschlag auf unsere unveräußerlichen Freiheiten bedeuten! Wisse denn, unser höchstes Gesetz, genannt Prinzip der freien Initiative, besagt, daß niemand zu einer Sache genötigt, gezwungen oder auch nur veranlaßt werden darf, die er nicht wünscht. Wer hätte da gewagt, den Erlauchten die Fabriken zu nehmen, wenn es ihr Wille war, sich des Eigentümerstandes zu erfreuen? Das wäre die schlimmste Knebelung der Freiheit gewesen, die man sich vorstellen kann. So produzierten dann, wie gesagt, die Neuen Maschinen Mengen maßlos billiger Waren und vorzüglicher Lebensmittel, aber die Minderlinge kauften überhaupt nichts, denn sie hatten kein Geld…«
»Aber, mein lieber Indiote«, rief ich aus, »du willst doch nicht behaupten, die Minderlinge handelten aus freien Stücken so? Wo blieben da eure Freiheit, eure Bürgerrechte?«
»Ach, teurer Fremder«, erwiderte der Indiote seufzend, »die Rechte blieben weiter unangetastet, aber sie besagen ja auch nur, daß der Bürger mit seiner Habe und seinem Geld machen kann, was ihm beliebt, aber nicht, woher er beides nehmen soll. Die Minderlinge wurden von niemandem unterdrückt, keiner übte Zwang auf sie aus, im Gegenteil, sie waren völlig frei und konnten tun und lassen, was sie wollten; statt aber diese uneingeschränkte Freiheit zu genießen, starben sie wie die Fliegen… Die Lage verschlimmerte sich zusehends; in den Magazinen stapelten sich Berge von Waren, die keiner kaufte, und in den Straßen irrten ziellos Schwärme schattenähnlicher Minderlinge umher. Der den Staat regierende Hohe Durinal, die ehrenwerte Versammlung der Spiriten und Erlauchten, tagte ein Jahr lang in Permanenz, um Abhilfe zu schaffen. Seine Mitglieder hielten endlose Reden und suchten mit großem Eifer nach einem Ausweg aus dem Dilemma, aber ihre Bemühungen schlugen fehl. Gleich zu Beginn der Beratungen verlangte ein Mitglied des Durinals, der Autor des bekannten Werkes ›Vom Wesen der indiotischen Freiheiten‹, man solle von dem Konstrukteur der Neuen Maschinen den goldenen Lorbeerkranz zurückfordern und ihm neun Augen ausstechen. Dem widersetzten sich die Spiriten, die im Namen des Großen Inda um Erbarmen für den Erfinder flehten. Vier Monate lang beratschlagte der Durinal darüber, ob der Konstrukteur durch die Erfindung der Neuen Maschinen gegen die Gesetze verstoßen habe oder nicht. Die Versammlung zerfiel in zwei Lager, die einander verbissen bekämpften. Schließlich setzte ein Brand im Archiv dem Streit ein Ende; alle Sitzungsprotokolle wurden vernichtet, und da von den hohen Mitgliedern des Durinals keiner mehr wußte, welchen Standpunkt er in dieser Frage vertreten hatte, fiel die ganze Angelegenheit
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