Sterntaler: Thriller (German Edition)
Leben noch unerträglicher machen.
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FREDRIKA BERGMAN WAR MÜDE . Eine weitere Nacht, in der sie nicht zur Ruhe kommen und schlafen konnte. Eine weitere Nacht voller Überlegungen. Ihr Kopf war träge, wollte nicht arbeiten. Ihr Herz schlug matt und pumpte sauerstoffhaltiges Blut durch einen Körper, der einfach nur ausruhen wollte.
Ein Bericht von der Kripos, dem norwegischen Pendant der Reichskripo, war am Morgen per Fax gekommen und lag in ihrem Postfach, als sie ins Büro kam. Informationen über Valter Lund. Sie hatte sich nicht damit begnügt festzustellen, dass Valter Lund aus Norwegen eingewandert war, sondern sie wollte mehr wissen und hatte deshalb die norwegischen Kollegen um Hilfe gebeten. Sie wollte Valter Lunds Vergangenheit durchleuchten. Was für eine Ausbildung hatte er? War er verheiratet gewesen? Hatte er noch Familienangehörige in Norwegen?
Der Bericht war kurz gefasst. Valter Lund war 1962 geboren und in Gol aufgewachsen. Vater und Mutter waren beide verstorben, keine Geschwister. Keine Großeltern mehr. Der einzige noch lebende Angehörige war ein Onkel, der nach wie vor in Gol lebte.
Gol. Fredrika war zufällig einmal dort gewesen. Ein trostloses Loch, knapp zweihundert Kilometer von Oslo entfernt, in der Nähe der einladenden Skihügel von Hemsedal. Niedrige Häuser, im Nichts ausgestreut, mit einer Eisenbahn, die den Ort in zwei Hälften teilte. Dort sollte Valter Lund, einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner Schwedens, aufgewachsen sein?
Die Kripos vermeldete weiter, dass Valter Lund das Gymnasium besucht und keinen Wehrdienst abgeleistet habe. Er hatte einen Eintrag im Strafregister, war vor seinem zwanzigsten Lebensjahr wegen einer Reihe kleinerer Vergehen bestraft worden. Sein Vater war schwer kriminell gewesen, und seine Mutter hatte unter dem Verdacht der Prostitution gestanden. Nach 1979 hatte der norwegische Fiskus keine Einkommensnachweise für Valter Lund mehr verzeichnet, lediglich eine geringfügige Beschäftigung bei einer Reederei mit Sitz in Bergen.
Fredrika las den Bericht noch einmal. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Hatte sie nicht in einem Artikel über Valter Lund gelesen, dass er Volkswirt sei? Oder hatte sie das einfach für selbstverständlich gehalten?
Sie öffnete den Internetbrowser und suchte nach weiteren Informationen über Valter Lund. Massenhaft Interviews, jede Menge Texte– aber nichts über seine Ausbildung. Valter Lund lächelte in die Kameras– von einem Schreibtisch, von einem Rednerpult, vom Rücksitz eines Autos aus. Nicht selbstsicher, sondern vielmehr freundlich. Er vermittelte den Eindruck, um denjenigen, der das Bild ansehen würde, bemüht zu sein und als ein vertrauenswürdiger Mensch wahrgenommen zu werden. Ein Gutmensch.
Fredrika versuchte, in einem der Bilder seinen Blick zu deuten. Er hatte sich anders profiliert als andere Finanzgrößen. Er hatte Verantwortung übernommen und war sich ihrer bewusst. Er konnte zugeben, wenn er einmal etwas falsch gemacht hatte. Im Verlauf von zwei Jahren hatte er mehr als die Hälfte seiner Gehaltsboni an technologisch ausgerichtete Entwicklungshilfeprojekte südlich der Sahara gespendet. Seine Besuche vor Ort waren sorgfältig von der Presse dokumentiert: Valter Lund ohne Schlips und Jackett, die Ärmel hochgekrempelt, das Gesicht in Sorgenfalten.
Fredrika erinnerte sich an eine entsprechende Reportage. Sie hatte die Großzügigkeit von Valter Lund und seine aktive Stellungnahme bewundert, sie wusste aber auch, dass er sich bei vielen Kollegen in der Wirtschaft unbeliebt machte, weil sie glaubten, dass Lunds Einsatz für die Entwicklungshilfe andere, die weniger gaben, in ein schlechtes Licht rückte. Morgan Axberger, dem Konzernchef etwa, fiel es nicht annähernd so leicht, seinen Geldbeutel zu öffnen. In Interviews äußerte er sich natürlich positiv über Valter Lunds Einsatz, betonte aber gleichzeitig, dass Entwicklungshilfe wohl kaum die Lösung der globalen Armut darstelle.
Während Valter Lund sympathisch und großzügig erschien, wurde also Morgan Axberger als zynisch und eiskalt wahrgenommen. Lund war der Junge aus Norwegen, der sich seinen eigenen Erfolg von Grund auf erarbeitet, während Axberger sowohl Position als auch Reichtum geerbt hatte. Von Valter Lund hörte man, dass mehr Frauen in die Vorstände der großen Unternehmen einziehen sollten, während Morgan Axberger mit dem Privileg des Alters nur lächelte, wenn die Frage aufkam, und meinte, dass jene
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