Sterntaler: Thriller (German Edition)
hatte seinen Körper überzogen. Die Kuchenbude, die er aus Nachlässigkeit nie geflickt hatte, hatte ihm keinen Schutz geboten, sondern die kühle Nachtluft ungehindert in die Kajüte ziehen lassen.
Nicht einmal aus Spaß hatte er je in Erwägung gezogen, auf dem Boot zu übernachten. Er hatte es vor einigen Sommern zusammen mit einem Bekannten gekauft. Eigentlich hatte er Rebecca damit imponieren wollen; er wusste, dass sie das Wasser und das Meer liebte. Doch sie war nur mäßig interessiert gewesen, und sein Kumpel hatte sich bereits nach der ersten Saison verabschiedet. Håkan hatte ihn ausgezahlt und das Boot allein behalten.
Er tuckerte langsam durch den Karlbergskanal und betrachtete Stockholm aus einer neuen Perspektive. Die frische Luft und das Gefühl der Freiheit taten ihm gut.
Er hatte gehofft, dass Rebecca das Bootsleben mit ihm teilen würde, doch sie hatte sich immer zurückgehalten und nicht dabei sein wollen, wenn er Pläne für den Sommer schmiedete. »Wir haben keine Beziehung, Håkan«, hatte sie gesagt. Das war der Sommer, ehe es passierte– der Sommer vor ihrem Verschwinden. Erst kamen der Herbst und der Winter. Und dann wurde sie schwanger.
Sein Kind.
Das Ultraschallbild hatte er zufällig gefunden, als er sie in ihrer Studentenbude besuchte. Er hatte gefragt, was das sei und woher es komme. Sie hatte ihm das Bild weggeschnappt und gesagt, es gehe ihn nichts an.
Er war wütend geworden. Sich daran zu erinnern tat weh. Wie er die Beherrschung verloren und wieder und wieder gebrüllt hatte: »Ist es mein Kind? Ist es das? Antworte mir, verdammt noch mal!«
Und sie hatte nur geantwortet, dass sie es nicht wisse.
Håkan hielt sich die Ohren zu, wollte den Klang ihrer Stimme, die er über das Meer hallen hörte, aus seinem Kopf verbannen.
Ich weiß nicht, wer der Vater des Kindes ist.
Er setzte sich um und legte die Beine auf den Reservetank. Wie lange würde er sich verstecken müssen? Wie lange würde es dauern, bis sie herausfanden, dass er ein Boot besaß? Wenn die Polizei herauskriegte, was er an dem Abend, als er das Bild von dem Kind fand, zu Rebecca gesagt hatte, dann würden sie ihn lebenslänglich einsperren. Er würde sich niemals herausreden können.
Aber es war wirklich nicht meine Schuld!
Der Mälaren war groß und bot zahlreiche Plätze, die sich als Verstecke eigneten. Hier konnte er alles Elend hinter sich lassen. Gleichzeitig wollte er aber auch nicht zu weit fahren. Er hatte Angst, sich irgendwann verloren vorzukommen.
Er war im oberen Teil des Alviken vor Anker gegangen. Eigentlich hatte er auf Ekerö anlegen wollen, doch dann war er doch weitergefahren, an Ekerö und an Stenhamra vorbei.
Er legte sich auf die Ruderbank. Man konnte in dem Boot richtig gut liegen, auch wenn es natürlich längst nicht so bequem war wie zu Hause. Aber er hatte genügend Essen und Trinken dabei und würde sich auf jeden Fall eine Woche draußen aufhalten können.
Eine Woche.
Eine verdammt kurze Zeit. Er hatte keine Ahnung, was er danach tun sollte.
Wieder überkam ihn Hoffnungslosigkeit. Alles war unwiederbringlich zerstört. Sein Vater würde nicht zurückkommen und Rebecca auch nicht. Und auch das Kind, das sie erwartet hatte, war weg.
Håkan kroch in die Koje. Er musste einen Entschluss fassen. Denn wenn man es richtig bedachte, kümmerte es überhaupt jemanden, wenn auch er verschwand?
42
ZUM DRITTEN MAL BINNEN EINER Woche legte Alex Recht die Strecke vom Haus auf Kungsholmen zur Grabungsstelle in Midsommarkransen zurück. Es war sonnig und warm– überraschend warm für die Jahreszeit.
Die Nachricht, dass eine dritte Leiche gefunden worden sei, warf all ihre bisherigen Überlegungen über den Haufen. Fredrika erhielt die Aufgabe, weiter nach der Frau zu suchen, die die goldene Uhr gekauft hatte, und Peder sollte mit Alex nach Midsommarkransen fahren.
»Ich habe ein verflucht schlechtes Gefühl bei dieser Sache.«
»Ich auch«, gab Alex zurück, »aber ich weiß nicht, wie ich die Prioritäten anders hätte setzen sollen.«
Peder warf ihm einen raschen Blick zu. »Es geht nicht um deine Prioritäten, sondern es geht um den ganzen verdammten Fall. Was zum Beispiel machen wir jetzt mit Lagergren?«
»Den lassen wir warten«, sagte Alex. Und er musste sich beherrschen, um nicht hinzuzufügen: Wir haben alle Zeit der Welt.
Denn exakt so fühlte es sich an. Es war, als veränderte dieser neue, grausame Fund den kompletten Spielplan. Beide hatten sie das Gefühl, als sei
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