Sterntaler: Thriller (German Edition)
missbilligten.
Fredrika versuchte, ihrer Sorge Ausdruck zu verleihen, erst zögernd und dann immer deutlicher. »Was ist passiert, Erland? Ich erkenne ihn überhaupt nicht wieder.«
Sie musste den Kloß in ihrer Kehle hinunterschlucken. Sie sollte das Gespräch beenden.
»Fredrika, so leid es mir tut, zu dieser Frage darf ich mich nicht äußern. Das musst du verstehen. Sprich selbst mit Spencer.«
»Ich verstehe das alles nicht. Ich habe bereits mit Spencer gesprochen, und zwar mehrmals. Er sagt nichts. Er schweigt sich aus.« Die Worte verkrampften sich in ihrem Brustkorb. Jetzt da sie schon mal alles offenbart hatte, wollte sie nicht abgewiesen werden.
Hilf mir!
Erlands nächste Worte kamen zögerlich. »Wir sind in eine gelinde gesagt schwierige Situation geraten. Im Herbst hat Spencer eine junge Studentin betreut, Tova Eriksson. Hat er von ihr erzählt?«
»Flüchtig. Er hat erwähnt, dass sie sich über ihn beschwert hat.«
Erland lachte müde. »Beschwert… So würde ich es nicht ausdrücken, aber nun gut. Sie hat ihn wegen sexueller Belästigung angezeigt, Fredrika. Weil er ihr Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt hat, um sich sexuelle Gefälligkeiten zu erschleichen.«
Fredrika war sprachlos.
Leer.
»Was sagst du da? Das muss ein Missverständnis sein.«
Erlands Stimme wurde hart. »Wir hier im Institut können zur Schuldfrage selbst keine Stellung nehmen, sondern müssen…«
»Aber natürlich könnt ihr das, zum Teufel!«, rief Fredrika schrill.
»Sie hat ihn angezeigt. Wir haben keine andere Wahl, als die polizeilichen Ermittlungen abzuwarten.«
Anzeige bei der Polizei. Sexuelle Gefälligkeiten. Spencers plötzlicher Wunsch, Elternzeit zu nehmen.
»Habt ihr ihn rausgeschmissen?«
»Wir hatten ihm nahegelegt, eine Zeit lang freizunehmen, doch mit der Anzeige ist er offiziell vom Dienst suspendiert worden.«
Es gab nichts mehr zu sagen.
Fredrika beendete das Gespräch und merkte, wie sie in sich zusammensank. In welcher Hinsicht hatte Spencer noch gelogen? Früher hatte es nie Geheimnisse zwischen ihnen gegeben. Ein Spiel mit offenen Karten, das war es, was ihre Beziehung getragen hatte.
Sollte sie nach Hause gehen? Die Arbeit für heute beenden, um ihn zu treffen, durchzuschütteln und all das zu verfluchen, was er ihr verschwiegen hatte?
Rebecca Trolle.
Fredrika wusste instinktiv, dass Spencer keine Rolle in den Ermittlungen spielte. Seine Mitgliedschaft in dem Filmclub war unwesentlich und hatte nichts mit Rebeccas Tod zu tun. Aber wie verhielt es sich mit dieser Studentin, die Spencer bei der Polizei angezeigt hatte? War da auch nur ein Körnchen Wahrheit in ihren Anschuldigungen?
Das konnte nicht sein.
Das durfte nicht sein.
Fredrika spürte, dass sie vollends aus dem Gleichgewicht geriet. Sie würde einen Streit mit Spencer nicht ertragen, solange die Enttäuschung darüber, dass er ihr seine Probleme verschwiegen hatte, in ihr kochte.
Sie suchte den Zettel heraus, den sie von Ellen bekommen hatte, und wählte die darauf notierte Telefonnummer.
Der Vorstand der Wohnungsgesellschaft ging nach dem zweiten Klingeln dran. Er hörte sich ihr Anliegen an und sagte dann: »Ich weiß, von welcher Wohnung Sie sprechen. Sie ist vor zwei Jahren verkauft worden. Die frühere Besitzerin hieß Helena Hjort.«
43
ES WAR IMMER NOCH FRÜHER Vormittag, als Spencer Lagergren sich in der Meldebehörde im Polizeirevier an der Kungsholmsgatan einfand. Er sah auf Saga hinab, die im Kinderwagen schlief, und musste daran denken, dass sie ganz in Fredrikas Nähe waren. Doch er hatte nicht vor hinaufzugehen und sie zu besuchen. Das Gespräch mit ihrem Kollegen, gepaart damit, dass derselbe Kollege auch Eva aufgesucht hatte, machte ihm Angst. Er war nicht nur wegen sexueller Belästigung und Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses angezeigt worden, sondern wurde überdies des Mordes verdächtigt. Warum sollten die sonst nach dieser verdammten Konferenz fragen, die in gewisser Weise ja auch sein Alibi war?
Vielleicht wurde er ja sogar mehrerer Morde verdächtigt? Im Radio und im Fernsehen kursierten Gerüchte, dass in Midsommarkransen eine weitere Leiche gefunden worden sei. Wäre es nicht unwahrscheinlich, wenn ihn die Polizei des einen Mordes verdächtigte, nicht aber des anderen?
Spencer wusste nicht mehr, was er noch glauben sollte, und wünschte sich, dass der ganze Mist einfach nur ein böser Traum wäre, aus dem er bald aufwachte.
Vor ihm in der Schlange standen vier Leute. Er würde
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