Sterntaler: Thriller (German Edition)
Mann stand.
Jimmy fragte sich, ob die Tante den Mann wohl durchs Fenster spähen sah. Sie müsste eigentlich… obwohl Jimmy erkennen konnte, dass der Mann das heimlich tat. Wie bei einem Spiel.
Es war schon das zweite Mal, dass Jimmy den Mann dabei ertappte, und ohne dass er wusste, warum, machte er ihm Angst. Er hoffte nur, dass die Tante ihrerseits keine Angst hatte.
Plötzlich bewegte sich der Mann. Auf die offene Terrassentür zu. Und ging hinein.
Jimmy hielt den Atem an. Was, wenn er ihr Böses wollte?
Er griff nach seinem Handy und wollte Peder anrufen. Doch der hatte das letzte Mal nicht zuhören wollen, das wusste Jimmy noch. Ob einer vom Personal ihm helfen würde?
Jetzt war der Mann nicht mehr zu sehen.
Jimmys Magen verkrampfte sich. Er hatte keine Zeit nachzudenken. Er musste etwas unternehmen.
Er schob seine eigene Terrassentür auf und trat hinaus. Er trug keine Schuhe an den Füßen, aber es war warm genug, dass er darauf verzichten konnte. Schließlich trug er Socken.
Er brauchte weniger als eine Minute, um zu der Terrasse der Tante zu gelangen– doch dann wusste Jimmy nicht mehr weiter. Sollte er anklopfen und rufen und Hallo sagen?
Intuitiv wusste er, dass das nicht gut wäre.
Stattdessen drückte er sich an die Hauswand direkt neben dem Fenster. Und hörte den Mann reden. »Wenn du dreißig Jahre geschwiegen hast, dann kannst du auch schweigen, bis du tot bist. Verstehst du, was ich sage?«
Das tat sie offenbar nicht, dachte Jimmy, denn sie antwortete ihm nicht.
»Ich weiß, warum du schweigst«, sagte der Mann etwas leiser. »Und du weißt, dass ich es weiß, Thea. Du schweigst, um deinen Jungen zu schützen, und dafür hast du mein ganzes Mitgefühl.« Der Mann verstummte. »Aber wenn ich falle, dann fällt auch er. Und wenn es das Letzte sein sollte, was ich tue: Ich werde ihn vernichten. Hörst du mich?«
Erst war es ganz still. Doch dann hörte Jimmy, wie sie, die Tante, die offensichtlich Thea hieß, mit heiserer Stimme sagte: »Wenn du meinen Sohn noch einmal bedrohst, dann bist du tot.«
Die Worte drangen zu Jimmy heraus. Und ohne sich beherrschen zu können, rief er laut: »Nein, nein, nein!«
Er stand wie festgenagelt da, als der Mann im Zimmer sich erst umdrehte, dann über die Terrassenschwelle trat und langsam näher kam.
47
DIE WELT UM SIE HERUM hatte aufgehört zu existieren. Fredrika Bergman strengte sich verzweifelt an zu verstehen, was der Polizist ihr gegenüber sagte, aber die Worte erschienen ihr völlig unverständlich. Spencer saß in Untersuchungshaft. Er hatte Saga in den Kinderwagen gelegt und war mit ihr in die Meldestelle spaziert, um einen neuen Pass zu beantragen. Obwohl er einen besaß, der noch mehrere Monate gültig war.
»Wir sind überzeugt davon, dass er das Land verlassen wollte«, sagte der Polizist.
»Schon der Gedanke allein ist lächerlich«, erwiderte Fredrika leise.
»Ganz und gar nicht. Er wusste, dass wir ihm auf der Spur waren. Und deshalb hat er versucht zu fliehen.«
»Er ist unschuldig.«
»Glauben Sie mir, ich kann verstehen, dass es schwer für Sie ist, das zu hören. Aber Sie müssen den Fakten ins Auge sehen. Spencer Lagergren ist nicht der, von dem Sie dachten, Sie kennten ihn. Er ist ein Vergewaltiger. Und diese Leute haben zwei Gesichter, das wissen Sie genauso gut wie ich.«
Die Wut wurde übermächtig. »Ich kenne ihn seit mehr als zehn Jahren.«
Der Polizist lehnte sich zurück. »Interessant. Und wie viele Jahre davon war er mit jemand anderem verheiratet?«
Der Zorn war rot und machte sie blind. »Das ist vollkommen unerheblich.«
»Für Sie vielleicht, für mich nicht.«
Sie stand auf und ging. Nahm ihr Kind auf den Arm und verließ den Raum. Dann blieb sie stehen und bat darum, mit Spencer sprechen zu können. Man informierte sie, dass dies in der derzeitigen Situation nicht möglich sei. »Wir werden ihn dem Haftrichter vorführen«, sagte der Polizist zu ihrem Rücken.
»Das werden Sie bereuen«, gab sie zurück.
Der Schock lähmte sie. Sie presste Saga fest an sich und verließ mit tränenüberströmtem Gesicht das Polizeirevier. Es gab nichts in ihr, das an Spencers Unschuld zweifelte. Was diese Studentin anging, hatte sie ihn angezeigt, weil sie offenkundig sein Leben oder wenigstens seine Karriere zu zerstören versuchte. Doch Fredrika hatte nicht vor, das zuzulassen.
Nur über meine Leiche.
Das Handy klingelte in ihrer Tasche. Ihre Hände zitterten, als sie ranging.
Die ruhige Stimme von
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