Sterntaler: Thriller (German Edition)
unterwegs, und nichts weist darauf hin, dass er die Lage nicht unter Kontrolle gehabt hätte. Warum hat er dann geschossen?
(Zeugin weint)
RM : Wollen Sie uns nicht die ganze Geschichte von Anfang bis Ende erzählen?
Bergman : Aber Sie wissen doch schon alles.
US : Nicht alles, Fredrika. Wenn es so wäre, würden wir nicht hier sitzen.
Bergman : Wo soll ich anfangen?
US : Am Anfang.
Bergman : Mit dem Auffinden von Rebecca Trolle?
US : Ja, das wäre ein guter Anfang.
(Schweigen)
Bergman : Dann fange ich da an.
2
KRIMINALKOMMISSAR TORBJÖRN ROSS STAND REGLOS unter den Bäumen bei der Waldlichtung. Gerader Rücken, die Füße in warm gefütterten Gummistiefeln. Ein kalter Frühlingswind schlich vorbei, Sonnenstrahlen sickerten durch die Bäume. Bald würde es Zeit sein, das Boot aus dem Winterlager zu holen.
Torbjörn betrachtete den makabren Fund, den sie gemacht hatten, nachdem die beiden Plastiksäcke aufgeschnitten worden waren. Ein Rumpf und ein Unterkörper.
»Wie lange hat sie hier schon gelegen?«, fragte er den Rechtsmediziner.
»Unmöglich, das hier vor Ort genau zu sagen. Aber ich würde mal sagen, um die zwei Jahre.«
Torbjörn pfiff durch die Zähne. »Zwei Jahre!«
»Das ist nur geraten.«
Neben Torbjörn räusperte sich ein Polizeiassistent. »Wir können Hände und Kopf nicht finden.«
»Der Fundort ist verhältnismäßig alt«, murmelte Torbjörn. »Ich will, dass wir die Umgebung durchkämmen und nachsehen, ob die anderen Körperteile in der Nähe liegen. Nehmt die Hunde, und seid vorsichtig.«
Er ging davon aus, dass sie weder Hände noch Kopf finden würden, wollte sich seiner Sache aber sicher sein. Derartige Fälle zogen gern ein großes Medienspektakel nach sich. Da war der Spielraum für Fehler sehr gering.
Er wandte sich wieder dem Rechtsmediziner zu. »Was glauben Sie, wie alt sie ist?«
»Ich kann derzeit nur sagen, dass sie jung war.«
»Und kein Stückchen Stoff am Leib?«
»Nein, ich sehe hier keine Spuren von verrotteter Kleidung.«
»Ein Sexualmord.«
»Oder ein Mord, bei dem es wichtig war, dass das Opfer nicht sofort identifiziert wird.«
Torbjörn nickte gedankenverloren. »Das könnte auch sein.«
Der Rechtsmediziner hielt ihm ein kleines Objekt hin. »Sehen Sie mal!«
»Was ist das?«
»Ein Bauchnabelpiercing.«
»Igitt!«
Er hielt das Schmuckstück zwischen Daumen und Zeigefinger. Ein silberner Ring an einem kleinen Steg. Torbjörn rieb ihn am Jackenärmel. »Da steht was.« Er kniff die Augen zusammen, drehte sich aus dem Licht. »Ich glaube, da steht ›Freiheit‹.« Als er das Wort aussprach, glitt ihm der Ring aus der Hand und verschwand in der Erde. » Verdammte Scheiße ! «
Der Rechtsmediziner sah traurig aus.
Torbjörn nahm den Ring wieder auf und zog eine Beweismitteltüte aus der Tasche. Die Identifizierung dürfte mithilfe dieses Schmuckstücks kein größeres Problem darstellen. Seltsam, dass ein Mörder, der ansonsten große Sorgfalt an den Tag gelegt hatte, ein so entscheidendes Detail übersah.
Die Leichenteile wurden mit großer Vorsicht auf eine Bahre gehoben, zugedeckt und davongetragen. Torbjörn blieb zurück und tätigte noch einen Telefonanruf. »Alex«, sagte er, »entschuldige bitte, dass ich dich so früh am Morgen störe, aber ich habe hier einen Fall, der garantiert auf deinem Tisch landen wird.«
Langsam war es Zeit fürs Mittagessen. Eigentlich hatte Spencer Lagergren keinen Hunger, aber weil er um eins einen Termin hatte und nicht wusste, wie lange es dauern würde, wollte er lieber vorher noch etwas zu sich nehmen.
Im Restaurant Kung Krål am Gamla torget in Uppsala brachte man ihm Hühnchen und Reis, und danach spazierte er in flottem Tempo durch die Stadt zur Carolina Rediviva hinauf an der majestätischen Bibliothek vorbei und dann weiter zum Engelska parken, in dem die Gebäude des Instituts für Literaturwissenschaft lagen. Wie oft war er diesen Weg schon gegangen? Manchmal meinte er, ihn mit verbundenen Augen zurücklegen zu können.
Auf der Hälfte des Weges begannen das Bein und die Hüfte zu schmerzen. Die Ärzte hatten ihm versprochen, dass er nach dem Autounfall seine volle Beweglichkeit wiedererlangen würde, und er übte sich in Geduld. Aber zu Anfang hatte er doch sehr mit sich gehadert. Es war so verdammt knapp gewesen. Was für eine teuflische Ironie es gewesen wäre, ausgerechnet in dem Moment zu sterben, als gerade alles im Begriff war, sich zu ordnen. Nach Jahrzehnten des Unglücklichseins hatte
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