Sterntaler: Thriller (German Edition)
will.
Seine Behinderung nach dem Unglück hatte ihr Angst gemacht. Er durfte nicht noch schneller altern, als er es ohnehin schon tat. Er durfte keine Belastung werden, wenn sie sich gleichzeitig um ein kleines Kind kümmern musste.
Vielleicht spürte er ihre Angst, denn er arbeitete mit irrsinniger Kraft daran, wieder gesund zu werden. Den Stock hatte er immer noch dabei, doch auch den würde er bald ablegen.
Das Mädchen erwachte aus seinem Mittagsschlaf und fing an, im Kinderzimmer Laute von sich zu geben. Spencer kam Fredrika zuvor und nahm es auf den Arm. Saga weinte nur selten, wenn sie aufwachte. Sie redete stattdessen. Oder brabbelte und gab kleine Spuckebläschen von sich. Sie war Fredrika so ähnlich, dass es fast unheimlich war.
Spencer kam wieder in die Küche, die lächelnde Saga im Arm. »Du hast doch gesagt, dass du gern wieder arbeiten würdest.«
»Ja, natürlich habe ich das gesagt, aber so etwas muss man doch planen. Wie lange willst du denn zu Hause sein?«
»Einen Monat«, antwortete Spencer. »Maximal zwei.«
»Und dann?«
»Dann geht sie in die Tagesstätte.«
»Den Platz in der Tagesstätte haben wir erst ab August, Spencer.«
»Genau. Und vorher machen wir Urlaub. Das passt doch ausgezeichnet, wenn ich bis zum Sommer zu Hause bin.«
Fredrika verstummte und betrachtete sein zerfurchtes Gesicht. Sie hatte gesehen, wie die Liebe zu Saga ihn überrascht hatte, wie erstaunt er darüber gewesen war, dass man für ein Kind derart starke Gefühle haben konnte. Aber er hatte kein einziges Mal Interesse daran gezeigt, Elternzeit zu nehmen.
»Was ist passiert, Spencer?«
»Nichts.«
»Lüg mich nicht an.«
Seine Pupillen weiteten sich. »Im Institut ist der Wahnsinn los«, sagte er schließlich.
Sie runzelte die Stirn und erinnerte sich daran, dass er von einem Streit zwischen zwei Kollegen gesprochen hatte. Da hatte es aber nicht so gewirkt, als wäre er ein Teil des Problems.
»Derselbe Konflikt wie schon einmal?«
»Ja, nur noch schlimmer. Die Stimmung ist schlecht, und es greift schon auf die Studenten über.«
Er verzog das Gesicht und setzte Saga auf den Boden. Fredrika sah, dass die Bewegung ihn schmerzte.
»Schaffst du es denn, ganze Tage mit Saga allein zu sein? Ich könnte vielleicht in Teilzeit anfangen…«
Er nickte. »Gute Idee. Ich werde ja trotzdem noch nach Uppsala fahren und an einer Reihe von Sitzungen teilnehmen müssen.«
Er wich ihrem Blick aus. Es gab irgendein Geheimnis, das er ihr vorenthielt, das spürte sie deutlich.
»Okay«, sagte sie schließlich.
»Okay?«
»Ich werde mit Alex reden. Heute Nachmittag fahre ich im Büro vorbei und frage ihn, was er davon hält. Vielleicht hat er gerade eine neue Ermittlung am Laufen.«
Eine zerstückelte Leiche in zwei Plastiksäcken. Nach Alex’ Ansicht handelte es sich um Rebecca Trolle.
Peder Rydh sah misstrauisch auf die Körperteile hinab. Kopf und Hände fehlten, aber Alex hatte den Schmuck erkannt, den sie im Nabel gehabt hatte. DNA -Proben würden diese Theorie entweder bestätigen oder widerlegen. Peder hatte Zweifel. Sicherlich war das Schmuckstück ungewöhnlich, vor allem mit dem Text auf dem kleinen Steg, doch dieses Ding konnte wohl kaum allein zur Identifizierung genügen.
Die feuchte Erde und das Plastik hatten das ihrige getan, um die Leiche zu erhalten, doch nach den Fotos zu urteilen, konnte man sich nur schwer vorstellen, wie die Frau einmal ausgesehen hatte, als sie noch lebte. War sie dick oder eher schlank gewesen? Hatte sie einen geraden Rücken gehabt, oder war sie so eine gewesen, die immer die Schultern ein wenig zu hoch zog und deshalb beinahe bucklig aussah?
Peder schlug die Akte auf, die er von Alex bekommen hatte. Darin lag ein Bild von Rebecca Trolle, kurz bevor sie verschwunden war. Süß. Frisch. Sommersprossen und ein breites Lächeln für die Kamera. Ein pflaumenfarbener Pullover, der das Blau in ihren Augen verstärkte. Dunkelblonde Haare, zu einem Pferdeschwanz gebunden. Selbstsicher.
Und jetzt tot.
Sie hatte viele Eisen im Feuer gehabt. Dreiundzwanzig Jahre alt, auf dem besten Wege hin zu einem Abschluss in Literaturwissenschaft an der Universität Stockholm. Nach dem Abitur hatte sie ein Jahr in Frankreich gelebt, war Mitglied in einem französischen Buchzirkel gewesen. Hatte im Kirchenchor gesungen und abends einen Babyschwimmkurs geleitet.
Peder seufzte. Wie schafften diese jungen Menschen es nur, so verdammt viele Sachen gleichzeitig zu unternehmen? Diese
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