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Sternwanderer

Titel: Sternwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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stand auf.
    »Wie kommt Ihr nur auf die absurde Idee, meine Angebetete hätte mich dazu gebracht, eine Dummheit zu begehen?«
    Der kleine Mann starrte aus tiefschwarzen Knopfaugen zu ihm empor. »Weil das der einzige Grund ist, weshalb ein Bursche wie du so dumm sein würde, die Grenze ins Feenland zu überqueren. Die einzigen, die jemals aus deinem Land hierherkommen, sind Dichter, Verliebte und Irre. Ihr seht mir weder aus wie ein Dichter, noch seid Ihr verrückt, sondern – Pardon, daß ich das sage junge, aber es ist wahr – so normal wie Käsekrümel. Also ist es die Liebe, würd’ ich sagen, wenn Ihr mich fragt.«
    »Denn jeder Verliebte ist in seinem Herzen ein Verrückter und im Kopf ein Dichter«, verkündete Tristran.
    »Ach wirklich?« fragte der kleine Mann zweifelnd. »Ist mir noch nie aufgefallen. Es gibt also eine junge Dame. Hat sie Euch hergeschickt, um Euer Glück zu machen? Das war früher mal sehr populär. Da sind die jungen Kerle hier überall rumgeschwirrt und haben nach dem Goldschatz gesucht, den irgendein armer Lindwurm oder ein Monster in jahrhundertelanger mühsamer Arbeit angehäuft hatte.«
    »Nein, ich suche nicht mein Glück. Es handelt sich eher darum, daß ich meiner Angebeteten ein Versprechen gegeben habe. Ich… wir haben uns unterhalten, ich habe ihr alles mögliche versprochen, und da haben wir eine Sternschnuppe gesehen, und ich habe meiner Geliebten versprochen, ihr den Stern zu bringen, der heruntergefallen ist, und zwar…« er gestikulierte mit dem Arm in die Richtung eines Gebirgszuges irgendwo in Richtung des Sonnenaufgangs »… und zwar da drüben.«
    Der kleine haarige Mann kratzte sich am Kinn, beziehungsweise an der Schnauze – ja, man konnte es durchaus eine Schnauze nennen. »Wißt Ihr, was ich an Eurer Stelle tun würde?«
    »Nein«, antwortete Tristran hoffnungsvoll, »was denn?«
    Der kleine Mann wischte sich mit der Hand die Nase ab. »Ich würde ihr sagen, sie kann mit ihrem Gesicht im Schweinestall verschwinden, und dann würde ich losziehen und eine andere suchen, die Euch küssen will, ohne dafür gleich zu verlangen, daß man ihr die ganze Welt zu Füßen legt. Ihr werdet eine finden, ohne jeden Zweifel. Man kann ja kaum ‘nen halben Backstein werfen, ohne eine zu treffen, in dem Land, wo Ihr herkommt.«
    »Es gibt für mich aber kein anderes Mädchen«, entgegnete Tristran fest.
    Der kleine Mann schnüffelte, und ohne weitere Diskussion packten sie ihre Sachen zusammen und brachen auf.
    »Habt Ihr das eigentlich ernst gemeint?« fragte der kleine Mann nach einer Weile. »Mit dem Stern?«
    »Ja«, antwortete Tristran.
    »Naja, ich würde das lieber nicht so rumposaunen an Eurer Stelle«, meinte der kleine Mann. »Es gibt nämlich gewisse Subjekte, die könnten an einer solchen Information ein ungesundes Interesse zeigen. Da ist es besser, den Mund zu halten. Aber lügen solltet Ihr auch nicht.«
    »Was soll ich dann sagen?«
    »Hmm«, antwortete das Männchen nachdenklich, »beispielsweise, wenn jemand fragt, wo Ihr herkommt, könntet Ihr sagen: ›Von dort hinten‹, und wenn Euch einer fragt, wo Ihr hinwollt: ›Immer der Nase nach‹.«
    »Aha«, sagte Tristran.
    Der Pfad war immer schwerer zu erkennen. Eine kalte Brise zerzauste Tristrans Haar, und er fröstelte. Sie gelangten in einen grauen Wald aus dünnen, bleichen Birken.
    »Glaubt Ihr, es ist weit?« fragte Tristran. »Zu dem Stern, meine ich.«
    »Wie weit ist es nach Babylon?« erwiderte das Männchen rein rhetorisch. »Als ich das letzte Mal hier war, gab es diesen Wald übrigens noch nicht.«
    »Wie weit ist es nach Babylon«, rezitierte Tristran vor sich hin, während sie den grauen Wald durchquerten.
     
    »Sechzig Meilen und zehn
    Komm ich dort hin bei Kerzenschein?
    Ja, selbst zurück kannst du gehn.
    Ja, wenn deine Füße sind flink und fein
    Kommst du dort hin bei Kerzenschein.«
     
    »So geht das also«, meinte das haarige Männchen und wackelte mit dem Kopf, als wäre er ein wenig zerstreut oder nervös.
    »Das ist bloß ein Reim für Kinder«, entgegnete Tristran.
    »Bloß für Kinder…? Meiner Treu, auf dieser Seite der Mauer würd’ manch einer sieben Jahre schuften für so einen kleinen Zauberspruch. Und dort, wo Ihr herkommt, sagt man es den Kindern auf, in einem Atemzug mit Dingen wie: ›Schlaf, Kindchen, schlaf‹, oder ›Eiapopeia‹, ohne drüber nachzudenken… Ist Euch kalt, Junge?«
    »Jetzt, wo Ihr’s sagt – mir ist tatsächlich ein wenig kühl,

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