Sternwanderer
die Catavarischen Inseln?« Jetzt zeigte Tristran nach Südwesten. Bis der kleine Mann sie erwähnte, hatte er weder von der Existenz der Bestreitbaren Hügel noch der Catavarischen Inseln gehört, aber er war ganz sicher, wo sie lagen, genauso, wie er wußte, wo sich sein linker Fuß oder die Nase in seinem Gesicht befanden.
»Hmmm. Also wißt Ihr auch, wo sich Seine Unermeßlichkeit des Freemartin Muskish aufhält?«
Tristran schüttelte den Kopf.
»Wißt Ihr, wo die Durchleuchtende Zitadelle Seiner Unermeßlichkeit des Freemartin Muskish liegt?«
Ohne Zögern zeigte Tristran in eine Richtung.
»Und was ist mit Paris? In Frankreich?«
Einen Moment dachte Tristran nach. »Na ja, wenn Wall da drüben ist, liegt Paris vermutlich irgendwie in derselben Richtung, oder?«
»Na so was«, sagte der kleine haarige Mann, ebenso zu sich selbst wie zu Tristran. »Ihr könnt also Orte im Feenland finden, aber nicht in Eurer Welt, außer Wall, und das ist ein Grenzfall. Leute findet Ihr nicht… aber… sagt mal, Junge, wißt Ihr, wo der Stern liegt, den Ihr sucht?«
Sofort zeigte es ihm Tristran und sagte: »In dieser Richtung.«
»Hmmm. Das ist gut. Aber es erklärt immer noch nix. Habt Ihr Hunger?«
»Ein wenig. Außerdem bin ich ganz schön zugerichtet«, meinte Tristran und fingerte an den riesigen Löchern in seiner Hose und seinem Mantel herum, wo die Zweige und Dornen nach ihm gegriffen und die Blätter ihn im Laufen gestochen hatten. »Und seht Euch bloß meine Stiefel an…«
»Was ist noch in Eurer Tasche?«
Tristran öffnete die Gladstone-Tasche. »Äpfel. Käse. Ein halbes Bauernbrot. Eine Dose Fischpaste. Mein Taschenmesser. Außerdem eine Garnitur frische Unterwäsche, zwei Paar Wollsocken. Wahrscheinlich hätte ich mehr Kleidung mitnehmen sollen…«
»Behaltet die Fischpaste«, unterbrach ihn sein Reisegefährte und verteilte die verbliebenen Eßsachen gerecht auf zwei gleiche Häufchen.
»Ihr habt mir geholfen«, sagte er, während er einen knackigen Apfel mampfte, »und so was vergeß’ ich nicht. Zuerst mal kümmern wir uns um Eure Kleidung, dann machen wir uns auf den Weg zu Eurem Stern.«
»Das ist äußerst freundlich von Euch«, sagte Tristran nervös und legte sich eine Scheibe Käse auf seinen Brotkanten.
»Gut«, meinte der haarige kleine Mann. »Dann suchen wir Euch erst mal eine Decke.«
* * *
Bei Morgengrauen fuhren die drei Herren von Stormhold in einer mit sechs schwarzen Pferden bespannten Kutsche die holprige Bergstraße hinunter. Die Pferde trugen wallenden schwarzen Federschmuck, die Herren waren in Trauerkleidung.
Bei Primus war dies eine lange schwarze Robe, eine Art Mönchskutte; Tertius trug die dunkle Kleidung eines trauernden Kaufmanns, während Septimus ein schwarzes Wams und eine schwarze Kniehose anhatte und aussah wie das Abbild eines geckenhaften Attentäters in einem zweitklassigen Elizabethanischen Historienspiel.
Die Herren von Stormhold beäugten einander, einer vorsichtig, einer wachsam, einer ausdruckslos, sprachen jedoch kein Wort miteinander. Wären Allianzen möglich gewesen, hätte sich Tertius vielleicht mit Primus gegen Septimus verbündet. Aber so etwas gab es nicht unter den Brüdern.
Die Kutsche klapperte und rasselte.
Einmal blieb sie stehen, weil alle drei Herren sich erleichtern mußten. Dann ratterte sie weiter bergab. Gemeinsam hatten die drei Herren von Stormhold die sterbliche Hülle ihres Vaters in die Ahnenhalle gebracht. Ihre toten Brüder hatten sie von den Türen der Halle aus schweigend beobachtet.
Gegen Abend rief der Kutscher: »Nottaway!« und zügelte das Gespann vor einem verfallenen Gasthaus, das neben einer Ruine gebaut war, die aussah wie die Hütte eines Riesen.
Die drei Herren von Stormhold stiegen aus und vertraten sich die eingeschlafenen Beine. Durch die Butzenscheiben des Gasthauses starrten ihnen Gesichter entgegen.
Der Gastwirt, ein cholerischer Gnom von gebrechlicher Statur, rief seinen Leuten zu: »Wir brauchen gelüftete Betten und einen Topf Hammeleintopf auf dem Feuer.«
»Wie viele Betten?« fragte Letitia, das Stubenmädchen, aus dem Treppenhaus.
»Drei«, antwortete der Gnom. »Ich vermute, daß sie den Kutscher bei den Pferden schlafen lassen.«
»Also nur drei«, flüsterte Tilly, das Küchenmädchen, Lacey, dem Stallburschen, zu, »wo doch jeder gesehen hat, daß sieben Gentlemen auf der Straße rumstehen.«
Doch als die Herren von Stormhold eintraten, waren sie nur zu dritt, und sie
Weitere Kostenlose Bücher