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Stevens, Chevy

Stevens, Chevy

Titel: Stevens, Chevy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Still Missing
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hineinkletterte.
    Halt. Wenn
ich etwas hätte, auf das ich seine Leiche rollen könnte, etwas, das über den
Boden glitte, wäre ich vielleicht in der Lage, ihn zu bewegen. Der Teppich vor
dem Bett war nicht glatt genug. Ich hatte keine Plane in der Nähe des
Brennholzes gesehen, aber irgendwo musste er eine haben, vielleicht im
Schuppen.
    Nachdem
ich fünf Schlüssel an seinem Riesenschlüsselbund ausprobiert hatte, gelang es
mir, das Vorhängeschloss zu öffnen. Es dauerte eine Weile, weil meine Hände
zitterten wie die eines Einbrechers vor seinem ersten Bruch.
    Halb
erwartete ich, den Hirsch immer noch an der Decke hängen zu sehen, aber es gab
keine Spur von ihm, und auf einem Regal über der Gefriertruhe fand ich eine
orange Plane. Ich faltete sie neben seiner Leiche auseinander und überlegte,
wie ich sie mit der Axt im Kopf auf die Plane rollen sollte. Verdammt. Die Axt
musste erst raus.
    Ich
schlang die Hände um den Griff, schloss die Augen und zog, aber nichts rührte
sich. Ich versuchte es mit etwas mehr Kraft, und das Gefühl, dass das Fleisch
und die Knochen sich weigerten, ihre Beute freizugeben, ließ mich würgen. Es
musste schnell gehen. Ich stützte mich mit dem Fuß an seinem Hals ab, kniff die
Augen zusammen, holte tief Luft und riss die Axt heraus. Ich ließ sie fallen
und übergab mich.
    Sobald
sich mein Magen wieder beruhigt hatte, kniete ich mich neben die Leiche, an der
Seite, wo kein Blut war, und rollte sie auf die Plane. Er fiel auf den Rücken,
glasige blaue Augen starrten in den Himmel, und ein blutiger Streifen, der von
seinem Kopf ausging, beschmutzte die orange Plane. Sein Gesicht war bereits
fahl und der Mund erschlafft.
    Hastig
schloss ich seine Augen - nicht aus Respekt vor dem Toten, sondern weil ich
daran dachte, wie oft ich mich hatte zwingen müssen, sie anzusehen.
    Mit dem
Rücken zu ihm, packte ich den Rand der Plane, beugte mich vor wie ein Ochse
mit einer grauenhaften Fracht und zog ihn hinüber in den Schuppen. Ihn über die
Türschwelle zu bekommen war knifflig, weil er auf der Plane immer weiter nach
unten rutschte. Schließlich musste ich sie wieder herausziehen, ihn darauf nach
oben zerren und die Enden über ihm zusammenschlagen wie eine Serviette. Mit
beiden Enden in den Händen ruckelte, zerrte, schob und zog ich ihn hinein.
Einmal rutschte seine Hand heraus und streifte mein Knie. Ich ließ die Plane
fallen, sprang zurück und stieß mit dem Kopf an einen Pfosten. Es tat höllisch
weh, aber ich war zu sehr auf meine Aufgabe konzentriert, um dem Pochen
irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken.
    Ich schob
seinen Arm zurück unter die Plane und stopfte sie um ihn herum fest. Ich fand
ein paar Gummischnüre, die ich fest um seine Beine und seinen Oberkörper
schlang. Während ich ihn wie eine Mumie einwickelte, sagte ich mir unablässig,
dass er mir nie mehr weh tun würde. Ich glaubte es keine Sekunde.
     
    Ausgedörrt,
schweißüberströmt, mit dröhnendem Kopf und am ganzen Körper von der
körperlichen Anstrengung zitternd, schloss ich den Schuppen ab und ging in die
Hütte, um etwas Wasser zu trinken. Sobald ich meinen Durst gestillt hatte,
legte ich mich aufs Bett, umklammerte die Schlüssel und starrte auf die
Taschenuhr am Schlüsselring. Es war fünf Uhr - zum ersten Mal seit fast einem
Jahr konnte ich selbst die Zeit ablesen.
    Zuerst
dachte ich gar nichts, ich lauschte nur dem Ticken des Sekundenzeigers, bis der
dröhnende Kopfschmerz nachließ, dann dachte ich: Ich bin
frei. Ich bin verdammt nochmal endlich frei. Aber warum
fühlte ich mich nicht frei? Ich habe einen Menschen umgebracht.
Ich bin eine Mörderin. Ich bin genau wie er.
    Ich war
nur seinen Körper losgeworden.
     
    Während
einer der ersten Pressekonferenzen, die ich nach meiner Heimkehr gegeben habe -
ich war so blöd, zu glauben, dass sie, wenn ich das einmal hinter mich brachte,
tatsächlich aufhören würden, mich anzurufen und draußen vor dem Trailer
herumzuschleichen -, hielt ein kahlköpfiger Typ im Publikum eine Bibel hoch und
psalmodierte: »Du sollst nicht töten. Du wirst in die Hölle
kommen. Du sollst nicht töten. Du wirst in die Hölle kommen.« Die Menge
schnappte kollektiv nach Luft, während die Umstehenden ihn fortzerrten, dann
wandte sie sich wieder mir zu. Blitze zuckten, und jemand hielt mir ein
Mikrofon unter die Nase.
    »Wie
antworten Sie darauf, Annie?«
    Als ich über
die Menge blickte und den Rücken des Glatzkopfes sah, der immer noch seinen
Spruch vor sich hin

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