Stevens, Chevy
etwas
an, Annie?«
Netter
Versuch, wenn auch alles andere als subtil. Für Clayton Falls war mein Büro
groß, aber es reichte nicht annähernd an Tamaras Firma in der City von
Vancouver heran - wir konnten uns glücklich schätzen, wenn wir eine Flasche
Wein und eine Plastikmedaille bekamen.
Ehe ich
antworten konnte, sagte Mom: »Ach, macht sie immer noch Verkauf? Annie
übernimmt jetzt die Leitung für ein riesiges Projekt, ein Apartmentkomplex
direkt am Wasser. Hast du nicht gesagt, es würde das größte Gebäude in Clayton
Falls werden, Annie Bear?«
Ich hatte
bis dahin nur mit einem Bauunternehmer gesprochen, hatte noch nicht einmal
meine Präsentation vorgestellt, was Mom sehr wohl wusste, doch sie genoss es
einfach, das Messer in der Wunde umzudrehen. Ich brachte es nicht übers Herz,
ihr das Messer aus der Hand zu nehmen.
Ich sagte:
»Es ist ein Riesending.«
»Ich bin
sicher, dass Tamara eines Tages auch ein eigenes Projekt bekommt, Val.
Vielleicht kann Annie ihr ein paar Tipps geben?« Mom lächelte Tante Val zu, die
aussah, als hätte sich der Tee in ihrem Mund gerade in Gift verwandelt. Doch
natürlich fing sich Tante Val rasch wieder.
»Das ist
lieb von dir, aber Tamara ist der Meinung, dass sich mit dem Verkauf von
Häusern mehr Geld verdienen lässt, und will nicht Jahre damit zubringen, ein
Projekt zu vermarkten, das sich womöglich noch nicht einmal verkauft. Aber ich
bin sicher, dass Annie ihre Sache phantastisch machen wird.«
Moms
Gesicht wurde so rot, dass ich mir tatsächlich einen Moment Sorgen machte,
aber dann schaffte sie es, ein Lächeln hervorzuzwingen, und wechselte das
Thema. Weiß der Teufel, wie die beiden es als Kinder zusammen ausgehalten
hatten.
Mom sprach
nie viel von ihrer Kindheit, aber ich weiß, dass ihr Dad sich von ihrer Mutter
trennte, als sie noch ziemlich klein war, und ihre Mom einen anderen Versager
heiratete. Sie hat einen älteren Stiefbruder, Dwight, der im Gefängnis sitzt.
Mit neunzehn hat er eine Bank überfallen, kurz vor Moms Hochzeit, saß seine
Strafe ab und wurde einen Monat nach dem Unfall entlassen. Er schaffte es jedoch,
eine Woche später erneut verhaftet zu werden. Beim letzten Mal hat der Idiot
sogar einem Wachmann ins Bein geschossen. Ich habe ihn nie kennengelernt, und
Mom weigert sich, über ihn zu sprechen. Einmal habe ich den Fehler begangen
und sie gefragt, ob wir ihn nicht mal besuchen könnten, und sie ist
ausgeflippt. »Denk nicht einmal daran, in die Nähe
dieses Mannes zu kommen!« Als ich einwandte: »Aber Tamara hat gesagt, dass
Tante Val mit ihnen hingegangen ist, warum also könn-«, bescherte mir das eine
zugeknallte Tür.
Nachdem
wir in das beschissene kleine Haus gezogen waren, kam ich eines Tages aus der
Schule und fand Mom auf dem Sofa, einen Brief in der Hand und eine halbleere
Flasche Wodka neben sich. Sie sah aus, als hätte sie geweint.
»Was ist
los, Mom?« Sie starrte nur weiter auf den Brief. »Mom?«
Ihre
Stimme klang erbittert. »Ich werde nicht zulassen, dass das noch einmal
vorkommt. Ich werde es nicht zulassen.«
Eine
plötzliche Angst durchfuhr mich. »Was ... was wirst du nicht noch einmal
zulassen?«
Sie hielt
ein Feuerzeug an den Brief und warf ihn in den Aschenbecher. Als das Papier
verbrannt war, nahm sie die Flasche und torkelte in ihr Zimmer. Auf dem
Küchentisch fand ich einen Briefumschlag mit einem Gefängnis als Absender. Am
nächsten Morgen war der Briefumschlag verschwunden, doch danach verließ Mom
das Haus eine volle Woche lang nicht.
Ich
landete wieder in der Gegenwart, als Mom sagte: »Weißt du, Luke ist deinem
Vater sehr ähnlich.«
»Findest
du? Manchmal bestimmt. Er ist genauso geduldig wie Dad, das auf jeden Fall.
Wir haben in der letzten Zeit öfter telefoniert. Ich werde ihm bei seiner
Buchführung helfen.«
»Buchführung?«
Sie sprach das Wort aus, als hätte ich gerade verkündet, Prostituierte zu
werden. »Du hasst Buchführung. «
Ich zuckte
die Achseln. »Irgendwie muss ich Geld verdienen. «
»Du hast
also noch nicht mit einem Agenten oder Produzenten gesprochen?«
»Ich habe
beschlossen, dass ich kein Geld mehr aus dem herausschlagen will, was mir
zugestoßen ist. Es macht mich krank, dass irgendwer, einschließlich mir,
überhaupt jemals Geld damit verdient hat.«
Als ich
zum ersten Mal eine ehemalige Mitschülerin von der Highschool im Fernsehen
gesehen hatte, hatte ich wie betäubt auf dem Sofa gesessen, während diese Frau,
die ich seit mehr als zehn Jahren nicht
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