Stich ins Herz - Robb, J: Stich ins Herz - Origin in Death (Death 21)
hatten sie ihr Ziel durchaus erreicht.
Sie war wunderschön und hatte keinerlei genetische Defekte. Ihre geschätzte Lebensdauer betrug hundertfünfzig Jahre. Vielleicht würde diese Spanne aber auch wegen der fortgesetzten Weiterentwicklung der medizinischen Technologie noch erheblich ausgedehnt.
Mit zwanzig war sie davongelaufen, hatte ein Dutzend Jahre im Untergrund verbracht und dabei ihre Fähigkeiten immer weiter ausgebaut. Der Gedanke, noch über hundert Jahre so zu leben, wie sie bisher leben musste, war ein beständiger Albtraum für sie.
Sie tötete mit kühlem Kopf, aber niemals kaltblütig. Sie tötete mit der Verzweiflung und der Leidenschaft einer Kriegerin, die zur Verteidigung von unschuldigen Menschen angetreten war.
Anlässlich dieses Mordes trug sie ein in Italien für sie maßgeschneidertes, schlichtes, schwarzes Kostüm. Geld war schließlich kein Problem. Sie hatte eine halbe Million gestohlen, bevor sie weggelaufen war. Und hatte sich seither immer wieder neues Geld beschafft. Sie hätte ein gutes Leben führen können und dabei nur darauf achten müssen, dass niemand sie entdeckte. Aber sie hatte eine Mission. In ihrem ganzen Leben hatte sie nur diese eine Mission.
Jetzt stand deren Erfüllung unmittelbar bevor.
Durch die Schlichtheit ihres Kostüms wurden ihre Weiblichkeit, die leuchtend roten Haare und die dunkelgrünen Augen noch betont. Sie hatte eine Stunde damit zugebracht, die Konturen ihres Gesichtes zu verändern, jetzt hatte sie eine etwas breitere Nase und ein etwas runderes Kinn.
Außerdem hatte sie ihrem Körper ein paar Pfunde zugefügt, sodass sie plötzlich üppiger gerundet war als sonst.
Die Veränderungen würden reichen. Oder eben nicht.
Sie hatte keine Angst davor zu sterben, aber sie hatte die geradezu panische Befürchtung, dass man sie vielleicht gefangen nahm. Deshalb hatte sie für den Fall, dass man sie erkannte, eine kleine Kapsel mit allem, was sie bräuchte, in ihrer Handtasche versteckt.
Der Vater hatte ihr erlaubt hereinzukommen, hatte ihr eine Audienz gewährt, hatte ihre Behauptung, dass sie einsam sei und ihre Flucht bedauerte, geglaubt. Er hatte seinen Tod nicht kommen sehen.
Aber hier, im Gefängnis von Brookhollow, wussten sie, was vorgefallen war. Wenn sie sie erkannten, hätte sie keinen Anteil mehr an der Beendigung des grausigen Geschehens. Aber es gab andere, die an ihre Stelle treten würden, falls sie fiel. Viele andere.
Trotz ihrer furchtsam zugeschnürten Kehle sah ihr Gesicht ruhig und gelassen aus. Auch das hatte sie gelernt. Sie durfte ihnen keine Gefühle zeigen. Durfte ihnen nicht verraten, was sie dachte oder empfand.
Im Rückspiegel des Wagens suchte sie den Blick der Fahrerin, zwang sich zu einem Lächeln und nickte mit dem Kopf.
Vor der Überwachungskamera am Tor des Anwesens hielten sie an und ihr Herzschlag setzte aus. Falls dies eine Falle war, käme sie hier nie wieder heraus. Weder tot noch lebendig.
Dann waren sie auf dem Grundstück und fuhren den gewundenen Weg durch den wunderbaren Park hinauf. Vorbei an den alten Bäumen, den Gärten, den Skulpturen – Werken junger Frauen, wie sie eine gewesen war.
Dann ragte das fünfstöckige Hauptgebäude vor ihr auf. Aus efeuumranktem, ach so weichem rotem Stein. Mit blank geputzten Fenstern und glatt polierten Säulen, an denen vorbei man durch die Haustür trat.
Die Mädchen, dachte sie und wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. Jung und frisch und lieblich, liefen sie alleine, paarweise oder in Gruppen auf andere Gebäude zu. Zum Unterricht oder für irgendeine Freizeitbeschäftigung.
Für Tests. Für weitere Verbesserungen. Zur Beurteilung.
Sie wartete, bis der Wagen hielt, die Chauffeurin ihre Tür aufmachte, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein, und reichte ihr eine trockene, kühle Hand.
Sie setzte ein schmales, höfliches Lächeln auf, als Evelyn Samuels durch das prachtvolle Portal des Hauses trat und ihr entgegensah.
»M rs Frost, willkommen in Brookhollow. Ich bin Evelyn Samuels, die Leiterin der Akademie.«
»F reut mich, dass ich Sie endlich persönlich kennen lerne.« Sie reichte ihr die Hand. »D as Anwesen und die Gebäude sind tatsächlich noch beeindruckender, wenn man sie in natura sieht.«
»W ir machen nachher noch eine ausgedehnte Führung, aber bitte kommen Sie doch erst auf eine Tasse Tee herein.«
»D as wäre wunderbar.« Sie ging durch die Tür, doch obwohl ihr Magen sich zusammenzog, sah sie sich – ganz die Mutter, die nach der
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