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Stiefkinder der Sonne

Stiefkinder der Sonne

Titel: Stiefkinder der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund Cooper
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gezählt hatte.
    „Funktioniert der wirklich?“ fragte sie und strich mit sichtlichem Vergnügen darüber.
    „Probier’s doch mal aus.“
    Liz suchte sich eine Platte von Strauß aus – den Kaiserwalzer –, und die Musik schien das kleine Haus zu erfüllen und für eine kurze Zeit die Gegenwart, Transnormalität und all die bitteren Erinnerungen der letzten Jahre daraus zu vertreiben. Nach Strauß versuchte sie noch eine weitere Platte, dieses Mal ein Lied, das ihr aus ihrer Kindheit einfiel. Der Name der Sängerin, Marlene Dietrich, bedeutete für Liz nichts; aber das Lied Sag mir, wo die Blumen sind füllte ihre Augen mit Tränen.
    Greville blieb ungerührt – oder zumindest sah er so aus, als bliebe er ungerührt. Er wollte nicht, daß Liz von ihm glaubte, er würde auf diesen sentimentalen Unsinn ohne weiteres hereinfallen.
    Der Morgen schritt voran. Sie bekamen beide Hunger. Weil es zu naß war, um hinauszugehen und etwas zu schießen, und weil in der Speisekammer kein frisches Fleisch oder Gemüse war, erlaubte sich Greville den Luxus und machte Büchsen auf.
    Zum Essen gab es Suppe, gebackene Bohnen und Ananas, und weil es irgendwie ein besonderer Tag war, wurde Greville wirklich verschwenderisch und machte eine Flasche Asti Spwnante auf.
    Der Wein entspannte sie. Greville gähnte, sah durch das Fenster in den tiefhängenden grauen Himmel und den glatten Regenvorhang. Es faszinierte ihn.
    „Ein Regentropfen“, sagte er plötzlich und zu seiner eigenen Verblüffung, „ist wie eine Kathedrale aus Glas. Das ist ein Ort zum Beten. Man müßte klein genug sein, da hineinzugehen und in flüssigen Gebeten zu ertrinken.“
    „Regentropfen fallen“, erinnerte ihn Liz. „Sie werden zerstört.“
    Greville schluckte und schüttelte den Kopf. „Sie verändern sich, das ist alles. Sie kommen irgendwie wieder zurück ins Meer und dann wieder in den Himmel … Ewige Bewegung … Ewiges Gebet … Komm, wir gehen ins Bett. Ich bin müde.“
    Eine Spur von Angst huschte über Liz’ Gesicht. Sie erinnerte sich daran, wie wund sie noch zwischen den Beinen war, und außerdem erinnerte sie sich an die letzte Nacht.
    Greville lachte. „Nicht dafür“, sagte er. „Wir sind ganz keusche kleine Kinder und machen unseren Mittagsschlaf. Verdammt noch mal, was sollen wir denn sonst tun? Wir können doch nicht rausgehen und die Welt retten.“
    „Zuerst räume ich den Tisch ab“, sagte Liz.
    „Du kommst ins Bett. Hausfrauliche Tüchtigkeit paßt nicht zu dir.“
    „Soll ich mich ausziehen?“
    „Mach doch, was du willst. Ich auf jeden Fall ziehe mich aus. Es gefällt mir besser so.“
    „Können wir noch ein bißchen Musik hören?“
    „Nein. Ich will schlafen.“
    „Na gut“, sagte Liz und schaute sehnsüchtig auf den Plattenspieler. „Ich schätze, dazu haben wir noch Zeit genug.“
    Greville tat so, als sei er verärgert. „Na gut, dann lege irgendeine blöde Musik auf, wenn du das willst. Mach es aber nicht so laut.“
    Während Liz sich auszog, sah sie sich die Schallplatten an. Sie fand die Italienische Symphonie und legte sie auf. Dann ging sie in das Schlafzimmer. Greville hatte seine Augen schon geschlossen. Als sie sich jedoch ins Bett legte, legte er ihr eine Hand auf die Brust und ließ sie dort leicht ruhen.
    „Vielleicht ist es ganz gut, daß ich dich nicht den Hunden überlassen habe“, murmelte er schläfrig. „Es besteht immerhin die Möglichkeit, daß du mir beibringst, wie man menschlich werden könnte.“
    Liz sagte nichts. Sie hatte sich in der seltsam traurigen Beschwingtheit Mendelssohns verloren. Sie wollte der Musik nicht so sehr zuhören, sondern sie wollte sie einatmen und sich mit jedem Atemzug tiefer in das Meer der Körperlosigkeit versenken.
    Lange bevor die Musik zu Ende war, hatte sie sich in Morpheus’ Arme begeben. Greville ging es genauso. Trotz des Regens und ihrer Nähe schliefen sie beide tief. Greville wachte als erster auf. Es wurde bereits dunkel. Er schaute Liz in dem Zwielicht an und hatte plötzlich aus einem Grund, den er nicht verstand, Angst. Er hatte den Wunsch, sie zu töten oder vor ihr wegzulaufen – oder beides. Seine Hand lag noch auf ihrer Brust; aber der Impuls, sie hochgleiten und sich um ihren Hals verkrampfen zu lassen, kam plötzlich und übermächtig. Er versuchte, ihn unter Kontrolle zu bringen, aber es gelang ihm nicht.
    Die Hand schien über einen eigenen Willen zu verfügen und setzte sich in Bewegung.
    Liz wachte auf. Sie sah ihn an. Die

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