Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
Vom Netzwerk:
einmal selbst abkaufen.« Er atmete tief durch, während er weiterhin den Mann betrachtete, der ihm trotz all der Jahre noch immer wie ein Fremder vorkam. Und zum wiederholten Male war er zutiefst dankbar für die ungewöhnliche Freundschaft, die sie miteinander verband. »Danke, dass du mich da rausgeholt hast«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Und auch für dein Vertrauen. Das bedeutet mir wirklich viel.« Er senkte seinen Blick. »Bitte entschuldige, dass ich neulich so …« Er vollführte eine unbestimmte Geste, als suchte er mit den Händen nach den richtigen Worten, »… so stur war. Diese ganze Angelegenheit wächst mir allmählich über den Kopf.«
    Fanta boxte ihm sanft gegen die Schulter. »Nun mach dich mal nicht gleich nass, Alter«, knurrte er aufmunternd. »Wir kriegen das schon wieder hin.«
    Tom schüttelte den Kopf und seufzte. »Ich habe deinen Optimismus immer bewundert, Stefan. Aber diesmal dürfte das nicht so einfach werden. Wenn du nicht plötzlich aufgetaucht wärst, hätten die mich wahrscheinlich eingebuchtet.« Fragend hob er eine Augenbraue. »Was hattest du da im Wald eigentlich zu suchen? Und erzähl mir bloß nicht, du wärst bei diesem Wetter am See spazieren gegangen.«
    »Nein. Eigentlich war ich auf dem Weg zu dir, um mich für mein Verhalten neulich zu entschuldigen. Ich hatte kein Recht, so mit dir zu reden.«
    »Tja, ich weiß nicht.« Tom senkte abermals den Blick. »Wenn ich früher auf dich gehört hätte, hätte ich jetzt vielleicht noch eine Familie und müsste mich nicht vor der Polizei verstecken.«
    »Sieh das Ganze doch positiv. Immerhin hast du jetzt keine Angst mehr.«
    Tom schaute zum Fenster hinaus. Der Regen hatte mittlerweile nachgelassen, war zu einem leichten Sprühnebel geworden, der sich in kleinen, dichten Tröpfchen auf den Scheiben niederschlug, in denen sich das Licht brach. Am Horizont mischten sich mehr und mehr hellere Flecken in das dunkle Grau des Himmels, dessen Wolkendecke an einigen Stellen bereits löchrig zu werden begann. Er sah das feuchte Gras der Wiese, das im zunehmenden Licht glitzerte wie Glas. Er sah die Landschaft, die langsam wieder an Farbe und Klarheit gewann und sich aus den diesigen Fängen des Unwetters befreite. All das sah er vor sich, weit jenseits seines gewohnten Territoriums, ohne das geringste Anzeichen von Angst zu verspüren.
    »Seltsam«, meinte er schließlich. »Mein Schneckenhaus musste wohl tatsächlich erst in sich zusammenbrechen, bevor ich es verlassen konnte. Der Arschtritt hat jedenfalls gesessen.« Er schüttelte den Kopf, doch diesmal huschte ein Lächeln über seine Lippen. »Der menschliche Verstand ist schon etwas Merkwürdiges, findest du nicht? Er muss erst einen Verlust erleben, um seine Schwächen zu besiegen.«
    »Eigentlich«, meinte Fanta, »ist es ziemlich einfach: Wenn man nichts mehr zu verlieren hat, wovor sollte man sich dann noch fürchten?«
    Tom musste unwillkürlich an den Moment in dem Keller denken, als er seinem Peiniger ins Gesicht gespuckt hatte. Damals hatte er genau dasselbe gedacht. Er blickte Fanta in die Augen, deren Blau so unergründlich war wie ein See am Fuße eines Vulkankraters. »Gibt es eigentlich irgendetwas, wovor du Angst hast?«
    Fanta überlegte einen Moment lang. Schließlich antwortete er: »In mir selbst eingesperrt zu sein, nicht zu wissen, wer ich eigentlich bin. Das würde mir eine Scheißangst einjagen. Deshalb bin ich wohl auch so versessen darauf, dir zu helfen. Nur dass ich dabei manchmal übers Ziel hinausschieße.«
    »Und dich damit nebenbei auch noch in ziemliche Schwierigkeiten bringst«, fügte Tom hinzu. »Allzu viele rote Ford Mustang dürften in dieser Gegend nicht zugelassen sein. Die werden nicht lange brauchen, um auf dich zu kommen.«
    Fanta machte eine abfällige Handbewegung. »Mach dir da mal keine Sorgen. Mit der Obrigkeit werd ich schon fertig.«
    »Ja«, lachte Tom, »da habe ich keine Zweifel.« Sofort wurde er wieder ernst. »Ich werde es da wohl etwas schwerer haben. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass ich unschuldig bin, dürfte es ziemlich knifflig werden, das alles zu erklären.«
    »Was soll das heißen, wenn wir davon ausgehen? Zweifelst du etwa daran?«
    Tom schwieg einen Moment lang unsicher. »Ich weiß nicht … ich habe immer wieder diese Blackouts. Nur vorhin war es …« Resigniert zuckte er die Schultern. »… anders.«
    »Inwiefern?«
    »Als sich mein Bewusstsein bei voller Fahrt wieder eingeschaltet hat, da war

Weitere Kostenlose Bücher