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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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es für eine Sekunde lang so, als … Ich weiß auch nicht, als wäre ich jemand anders. Ich habe nie fahren gelernt, aber in diesem kurzen Moment hatte ich das Gefühl, als wüsste ich genau, was ich tue. Verstehst du, ich habe diesen Wagen gefahren, als wäre es das Normalste auf der Welt.«
    »Du bist also immer noch von diesem Bullshit überzeugt, dass du an einer Persönlichkeitsstörung leidest«, stöhnte Fanta.
    »Eigentlich nicht«, entgegnete er. »Dr. Westphal schließt das aus, und sie hat durchaus überzeugende Argumente vorgebracht. Aber was für eine Erklärung könnte es denn sonst dafür geben?«
    Fanta überlegte einen Augenblick. »Na ja, du bist doch Schriftsteller, nicht wahr?«
    »Was hat denn das damit zu tun?«, fragte Tom erstaunt.
    »Ich meine, es gehört zu deinem Beruf, dich in andere Menschen hineinzuversetzen. Und wir beide wissen, dass du das ziemlich gut draufhast.«
    Toms Stirn legte sich nachdenklich in Falten. »Du meinst …«
    Fanta nickte. »Wenn du an einer Geschichte arbeitest, kommst du doch sicher früher oder später an eine Stelle, wo du etwas beschreiben musst, was du selbst noch nie erlebt oder getan hast.«
    »Natürlich.«
    »Und was machst du in so einem Fall?«
    »Ich frage nach, recherchiere. Der Rest ist reine Vorstellungskraft. Ich habe dann meistens ein ziemlich klares Bild vor Augen, in das ich mich hineinversetzen kann. Das verläuft fast automatisch, so als …« Er stockte, als er begriff, worauf sein Freund hinauswollte.
    »Ja«, bestätigte Fanta. »Ich denke, es wäre doch immerhin möglich, dass sich dein Unterbewusstsein in ausweglosen Situationen vorstellt, jemand anders zu sein. Jemand, der der betreffenden Lage besser gewachsen ist und sie leichter beherrschen kann. Jemand, für den es das Normalste auf der Welt ist, ein Auto zu fahren.«
    »Du meinst also, mein Verstand flüchtet sich nicht in eine andere Persönlichkeit, sondern in eine andere … nun ja, Identität?«
    Tom musste zugeben, dass sich das ziemlich verrückt anhörte. Allerdings war diese These im Moment eine der plausibleren Erklärungen in seinem Leben, von dem er kaum behaupten konnte, dass es sich auf einer rationalen Ebene abspielte. Allerdings hatte diese These auch einen erschreckenden Aspekt. Denn wenn seine Vorstellungskraft ihn dazu befähigte, Dinge zu tun, zu denen er sonst nicht in der Lage war, dann könnte sie ihn doch auch einen Mord begehen lassen.
    »Ich weiß nicht«, meinte er schließlich. »Klingt ziemlich weit hergeholt.«
    »Der menschliche Verstand ist etwas Merkwürdiges. Deine eigenen Worte. Es wäre immerhin eine Möglichkeit.«
    »Ja, aber eine, mit der ich einen Richter nur schwer beeindrucken könnte. Außerdem erklärt das nicht, wie die Leiche in mein Haus gekommen ist.«
    »Was ist mit dem Kerl, den du in deinem Garten gesehen hast? Glaubst du, der hat was damit zu tun?«
    »Davon gehe ich aus. Allerdings müsste er schon ins Haus eingedrungen sein, denn der Keller ist von außen nicht zugänglich. Das alles klingt nicht sehr überzeugend. Aber zumindest glaube ich, dass er einiges zur Aufklärung dieses Verwirrspiels beitragen könnte. Es sei denn …«
    »Was?«
    »Es sei denn, er entspringt auch nur meiner Fantasie.« Tom seufzte resigniert. »Ich bin mir ziemlich sicher, diesen Mann schon einmal gesehen zu haben. Aber ich finde einfach keinen Zusammenhang.« Er fuhr sich erschöpft mit der Hand übers Gesicht. »Es muss irgendetwas mit der Zahl Sechsundvierzig zu tun haben.«
    »Und du hast keine Ahnung, wofür diese Zahl stehen könnte?«
    »Nein, nicht die geringste«, erwiderte Tom müde. »Aber ich nehme an, es hat etwas mit meiner verkorksten Vergangenheit zu tun. Nur eines verstehe ich nicht: Wenn dieser Geisteskranke mir etwas zu sagen hat, warum tut er es dann nicht einfach? Warum spricht er in total bescheuerten Rätseln mit mir?«
    »Tja, darüber kann man wohl nur Vermutungen anstellen«, sagte Fanta. »Aber ich denke, er will, dass du deine Vergangenheit durchforstest und sie dadurch aufarbeitest. Er will, dass du dich an alles erinnerst.«
    »Dieser Drecksack spielt mit mir«, schnaufte Tom, und seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Und ich wette, es macht ihn richtig an, mich leiden zu sehen. Aber bitte schön, soll er ruhig seinen Spaß haben. Irgendwann muss er aus seinem Versteck kriechen, und dann schnappe ich mir das Schwein.«
    »Wir sollten lieber dafür sorgen, dass wir nicht geschnappt werden.«
    Fanta griff an Toms

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