Stille Nacht: Ein Fall für Hubertus Hummel (German Edition)
und drehte den Kopf nach oben. Sie fuhren unter der Bärenfamilie hindurch. Die Figuren aus Stahl waren nach dem Vorbild von »Brehms Tierleben« und Bären im Basler Zoo angefertigt worden; mittlerweile waren sie sogar zu einem Wahrzeichen Schwenningens avanciert. Fast hätten sie sogar das Wappentier der Neckarstadt, den Schwan, abgelöst.
Klaus parkte vor dem alten Postgebäude. Sie liefen das kurze Stück zum Bärenpark, dem Areal der Brauerei, kamen unbehelligt am Pförtner vorbei und betraten den Aufzug, der zum Penthouse des Glaspalastes führte. Ein auf Hochglanz poliertes Schild wies darauf hin, dass die Vorstandschaft ihr Büro im obersten Stockwerk hatte.
Sie betraten das Vorzimmer. Eine junge Frau mit schwarz gerahmter Brille saß hinter einem tresenartigen Schreibtisch zwischen großen Zimmerpflanzen und telefonierte. Ihre Augen waren offenbar von Tränen gerötet.
Der Tod ihres Chefs schien ihr sehr nahegegangen zu sein. Sie drückte kurz eine Hand auf die Sprechmuschel des Hörers und fragte: »Ja, bitte?«
»Wir ermitteln im Mordfall Ihres Chefs. Können wir bitte Herrn Dr. Benzing sprechen?«, fragte Klaus halb flüsternd. Zum Glück trug er heute einen langen, beigen Trenchcoat im Stile Columbos.
Die Sekretärin schien Riesle und Hummel für Kripobeamte zu halten. Sie meldete sie nicht an, sondern wies matt mit der Hand auf eine der Türen.
Hummel klopfte sanft.
»Ja? Was ist denn nun schon wieder?«, rief jemand aus dem Büro.
Hubertus und Riesle traten ein. Drinnen standen zwei Männer hinter einem großen, schweren Eichenschreibtisch. Mit Papier gefüllte Kartons und Ordner waren überall im Raum verteilt.
»Guten Tag, die Herren. Das ist mein Kollege Herr Hummel, mein Name ist Riesle. Wir ermitteln im Mordfall Schlenker und würden gern mit Herrn Benzing sprechen«, sprach Klaus mit fester Stimme. Mittlerweile hatte er Übung darin, als selbstsicherer Ermittler aufzutreten. Hubertus hingegen schwieg in solchen Situationen lieber. Auch die beiden Herren am Schreibtisch schienen sie für Polizeibeamte zu halten. Der eine von ihnen, ein älterer mit Glatze und grauem Zweireiher, wies den anderen an, den Raum zu verlassen.
Als dieser wortlos aus dem Zimmer verschwunden war, stellte sich der erste als Dr. Benzing vor und hakte nach: »Darf ich bitte Ihre Dienstausweise sehen?«
»Wir sind nicht von der Kripo, Herr Benzing. Wir sind Privatdetektive und ermitteln im Mordfall Ihres Kompagnons«, gab Klaus zurück.
»Dann darf ich Sie bitten, umgehend mein Büro zu verlassen!«
Benzing wies mit wütendem Blick in Richtung Tür.
»Herr Dr. Benzing«, sagte Hummel beschwichtigend, »wir ermitteln mit Unterstützung der Polizei. Und wir waren sogar unmittelbare Zeugen des Mordes an Dr. Schlenker.«
»Das interessiert mich überhaupt nicht.« Benzing ließ sich nicht beirren.
Der kleine, untersetzte Mann bewegte sich auf Klaus und Hubertus zu und wollte sie aus dem Zimmer drängen. Gerade als sie mit dem Rücken zur Tür standen, ging diese mit einem Ruck auf, wodurch Hummel und Riesle zurück ins Zimmer geschubst wurden.
Eine elegante Dame in dunklem Kostüm mit Hut hatte sich abrupt Zugang zu dem Büro verschafft. Ihr Gesicht war aschfahl und wies tiefe Falten und Augenringe auf. Sie mochte Ende vierzig sein.
Ehe sichs die Männer versahen, schrie sie Benzing an: »Alfons, wie konntest du es wagen, Peters Büro räumen zu lassen? Das ist wirklich unglaublich!«
Benzing sagte nichts. Sein Blick wurde aber sichtlich nervöser. Auf seiner Stirnglatze bildeten sich kleine Schweißperlen.
Die energische Dame fuhr mit ihrer Schimpfkanonade fort. »Der Prokurist, dieser Herr Maier, ist gerade zu mir gekommen und hat es mir erzählt. Hast du denn weder Anstand noch Pietät?«
»Hannelore, was soll ich denn machen?«, fragte Benzing und entledigte sich seines Jacketts. Sein weißes Hemd wies dunkle Schweißflecken auf.
»Ich muss doch die Geschäfte weiterführen. Dafür benötige ich dringend Unterlagen, die sich in Peters Büro befinden.«
»Verkauf mich nicht für dumm! Du willst die Geschäfte nicht weiterführen, du willst die ganze Brauerei loswerden – und zwar an Edelmann!« Schlenkers Gattin wurde noch lauter. »Am Ende hast du etwas mit dem Mord an Peter zu tun …«
Sie begann zu schluchzen und ein Taschentuch mit Spitzen aus ihrem Handtäschchen hervorzuziehen. Ein Geruch von Kölnischwasser breitete sich aus.
»Rede doch keinen Unsinn, Hannelore. Es tut mir schrecklich leid,
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