Stille Nacht: Ein Fall für Hubertus Hummel (German Edition)
später, Alter«, meinte Klaus. »Und im Übrigen ist Weihnachten vorbei, lass uns dann nachher mal wieder über den Fall sprechen.«
Das Bistro. In den vergangenen fast dreißig Jahren hatte jeder von ihnen in dieser Kneipe ungefähr dreißigtausend Euro liegen lassen, hatten Hubertus und Klaus einmal während eines gemeinsamen Toilettenganges dort angetrunken ausgerechnet, nachdem sie beinahe die lebensgefährlich enge Wendeltreppe hinuntergefallen waren.
Die Zeit verging im Schneckentempo. Hubertus stand in der Küche und betrachtete das Kurier-Bild mit ihm und Thoma, das Martina dort an die Pinnwand geheftet hatte.
Dann trank er einen Rioja, ging ins Bad, machte sich frisch, lief wieder durch den Flur, zappte sich durch die Fernsehprogramme, stellte die Platte zurück ins Regal.
Irgendwann wurde es doch noch neunzehn Uhr fünfunddreißig. Hubertus, der zur dunklen Stoffhose ein schneeweißes Hemd, schwarze Halbschuhe und einen langen grauen Mantel trug, machte sich auf den Weg in die Innenstadt.
Zu Fuß, denn er wollte auf jeden Fall etwas trinken.
Das würde die Stimmung lockern – hoffentlich auch die von Elke.
In der fast menschenleeren Südstadt war nichts zu hören, lediglich der Schnee knirschte unter Hubertus’ Schuhen.
Jetzt fühlte er sich wie vor seiner praktischen Fahrprüfung. Die hatte er beim ersten Mal in den Sand gesetzt, indem er beinahe in ein anderes Auto gefahren war.
Fast zehn Minuten zu früh stand er vor dem Restaurant, das nur einen Steinwurf von der Rechtsanwaltspraxis Bröses entfernt lag. Er dachte an den wichtigtuerischen Juristen und Kommunalpolitiker, der ihm seine Ehefrau zumindest vorübergehend ausgespannt hatte.
Zum Glück war das mit Bröse und Elke jetzt aus. Aber stimmte das auch wirklich?
Martina, die ihre Mutter öfters sah, hatte es jedenfalls behauptet.
Vielleicht nur, um ihn zu trösten? Neunzehn Uhr zweiundfünfzig. Und jetzt? Sollte er warten? Oder gleich hineingehen?
Er musterte die Speisekarte. Dann warf er einen verstohlenen Blick nach links und rechts, um sich zu vergewissern, dass Elke noch nicht im Anmarsch war.
Bevor er das Restaurant betrat, atmete er tief durch. Sein Herz pochte bis zum Hals. Elke war wirklich noch nicht da.
Hubertus wurde zu seinem Platz geleitet, setzte sich, murmelte: »Meine Frau kommt gleich«, und wurde immer unruhiger.
Unauffällig blickte er sich um. Ein paar Gesichter kannte er, und ihm schien, als würden alle ihn anstarren, den einzelnen Mann, der womöglich von seiner Verabredung versetzt worden war.
Oder der es nötig hatte, am zweiten Weihnachtsfeiertag allein in ein Restaurant zu gehen.
Wie armselig. Wie entwurzelt.
Er bestellte ein Pils. Der Kellner brachte ein 0,3-Liter-Glas von »Edelmann« und setzte es auf einen »Bären-Bräu«-Bierdeckel.
Hubertus blickte zerstreut darauf, bemerkte schließlich die Kombination und versuchte, sich mit dem Mordfall zu beschäftigen.
Wir müssen morgen noch mal nach Schwenningen, dachte er sich.
Morgen. Was dann wohl sein würde?
Er erinnerte sich eines Liedes von Heinz Rudolf Kunze, das er zu Hause ebenfalls noch gehört hatte: »Dies wird der Abend vor dem Morgen danach«.
Es war acht nach acht.
Wo blieb sie nur?
Hubertus bestellte noch ein Bier.
Gerade als der Kellner das zweite Pils brachte, gingen die Tür und Hubertus’ Herz auf: Elke!
Sie sah phantastisch aus!
Nein, nicht ganz. Sie wirkte müde.
Sehr müde.
Dennoch lächelte sie, als sie Hubertus sah.
Sie lächelte!
Elke trug einen schwarzen Mantel und ein dunkles Seidentuch. Als Hubertus ihr gemeinsam mit dem Kellner den Mantel abnahm, sah er darunter einen schwarzen Pullover, eine schwarze Hose und schwarze Winterschuhe. Trauerkleidung? O Gott …
»Elke. Ist dein Vater etwa …?«, fragte Hubertus leicht panisch.
Elke setzte sich. »Was denn, Hubertus?«
»Also, ist er …?«, stammelte Hummel.
Aus dem netten Abend würde nichts werden.
Aber vielleicht könnte er sie ja trösten. Und vielleicht würde daraus …
Seine Gedanken überschlugen sich. Und das schlechte Gewissen meldete sich natürlich auch, denn das schlechte Gewissen fand es unmöglich, dass er den Tod seines Schwiegervaters ausnutzen wollte, um bei Elke …
»Es ist nichts Lebensgefährliches, wenn du das meinst«, entgegnete Elke schließlich.
Hummels schlechtes Gewissen verabschiedete sich. Allmählich fand er seine Konzentration wieder.
Und tatsächlich: Es ergab sich nach kurzer Befangenheit schon recht schnell ein
Weitere Kostenlose Bücher