Stille Nacht: Ein Fall für Hubertus Hummel (German Edition)
verfolgt. Aber niemand kann die Botschaft aufhalten!«
Während der Dekan zurück in den Altarraum ging, stimmte der Kirchenchor feierlich »Es ist ein Ros’ entsprungen« an.
Hubertus, der mit Martina noch ein Plätzchen im rechten Kirchenschiff ergattert hatte, war beseelt. »Schön, oder?«, flüsterte er seiner Tochter ins Ohr, die zwar die Augen verdrehte, dann aber ihre Hand auf seinen Arm legte.
Das Abendmahl nahte. Einer der vielen Priester – an Heiligabend gab es ein großes Aufgebot im Münster – schwenkte den Weihrauchkessel vor dem Altarraum.
»Papa, mir wird übel«, flüsterte Martina plötzlich von links und blickte ihn flehend an.
»Geht gleich vorüber, Martina«, beschwichtigte Hummel. Den Gottesdienst wollte er nicht vorzeitig verlassen müssen.
Zum einen freute er sich auf den feierlichen Schlussgesang. Zum anderen: Was sollte der Dekan von seinem ehemaligen Ministranten denken, wenn der sich nun schon mal nach langer Zeit ins Münster verirrte und sich dann mitten im Gottesdienst davonstahl?
Die schweren Rauchschwaden, die Martina zugesetzt hatten, verzogen sich nach dem Abendmahl allmählich, ihre Gesichtszüge entspannten sich wieder. Unter dem beschwingten »O du fröhliche« begann der Auszug der vielen Ministranten und Priester. Der Kirchenchor packte noch eine Oktave drauf. Auch Hubertus schmetterte inbrünstig mit – zu seinem großen Erstaunen stimmte sogar Martina mit ein. Eigentlich, dachte er sich, habe ich meine Tochter in letzter Zeit doch ganz gut alleine erzogen. Sie macht sich.
Auf dem Vorplatz des Münsters bildeten sich dicke Menschentrauben. Bekannte und Freunde tauschten Weihnachtsgrüße aus.
Das alteingesessene Villinger Bürgertum war katholisch. Man kannte sich meist schon seit vielen Jahrzehnten, war gemeinsam in den kirchlichen Gruppenstunden der Katholischen Jungen Gemeinde oder auf Zeltlagern gewesen. Während des Jahres kamen die meisten nur noch sporadisch ins Münster, aber an Weihnachten waren fast alle wichtigen Villinger Familien dort vertreten.
Hubertus und Martina drängelten sich ebenfalls auf den aus Kopfsteinpflaster bestehenden Villinger Hauptplatz. Es rieselte kleine Eiskristalle vom Himmel. Hummel blickte empor. Er war in einem wahren Gefühlstaumel gefangen.
Die malerischen, wie eingezuckert wirkenden Zwillingstürme des Münsters erstrahlten im Scheinwerferlicht. Abends sah das Münster besonders schön aus, fand Hubertus. Und an Weihnachten gab es ohnehin keine schönere Kirche. Weltweit.
»Frohes Fest, Huby!«, rief plötzlich eine bekannte Stimme von hinten. Vom alten Rathaus kam Klaus Riesle daher – am Arm hatte er eine junge, recht hübsche Frau mit Wollmütze. Hubertus glaubte, unter der Kopfbedeckung braune Haare zu erspähen.
Er freute sich einerseits, seinen alten Freund zu sehen. Andererseits wurde er fast etwas neidisch. Wie viele Jahre hatte er mit Elke den mitternächtlichen Kuhreihen in trauter Zweisamkeit besucht? Und jetzt war Klaus als langjähriger Single in weiblicher Begleitung, während er selbst nur Martina dabeihatte … Aufmerksam musterte er Klaus’ Freundin. Sie schien ganz sympathisch zu sein, vielleicht ein wenig scheu.
Hummel entschied, sich zunächst etwas distanziert zu geben. Er reichte ihr die Hand, stellte sich kurz vor und war sonst eher zurückhaltend. Wer weiß, was Klaus ihr schon über ihn erzählt hatte?
»Ich bin dann mal weg, Paps!«, rief Martina, als sie auf eine Gruppe junger Leute trafen. Dieser Satz und dieser Tonfall wurden Hummel auch immer vertrauter.
»Frohe Weihnachten, Herr Hummel«, grüßte aus der Menge heraus eine männliche Stimme, die er gut kannte. Ausgerechnet Hubertus’ Klassenflegel Dominik Schreiner zählte offenbar zu Martinas Begleitern.
»Um Punkt zwei bist du zu Hause, junges Fräulein!«, beeilte sich Hummel seiner Tochter nachzurufen, doch seine Aufforderung schien im Lärm unterzugehen. Hubertus und Klaus mitsamt Anhang trafen auf eine kaum überschaubare Menschenmenge am zentralen Villinger Straßenkreuz. Hubertus fand einen Platz dicht an der Häuserwand.
Pünktlich zum Glockenschlag um Mitternacht spielte ein als Hirte verkleideter Mann eine andächtige Melodie auf dem Herterhorn, das wie ein zu klein geratenes Alphorn anmutete.
Der Brauch ging auf ein Gelübde der Villinger Hirten zurück, die jeweils zu Weihnachten von allen Stadttoren in ihr Horn bliesen, um fortan von Viehseuchen verschont zu bleiben.
Als die Villinger Stadt-und Bürgerwehrmusik
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