Stille Nacht
versprech’s, Daddy.«
10
Im Gebäude der One Police Plaza im Süden Manhattans, der
Einsatzzentrale für die Jagd auf Jimmy Siddons, war die
eskalierende Spannung deutlich zu erkennen. Alle dort waren
sich vollkommen im klaren, daß Siddons nicht vor einem
weiteren Mord zurückschrecken würde, wenn es darum ging,
seine Flucht abzusichern. Sie wußten auch, daß er im Besitz der
Waffe war, die man zu ihm hineingeschmuggelt hatte.
»Bewaffnet und gefährlich« war die Unterschrift unter seine m
Foto auf den Flugblättern, die in der ganzen Stadt verteilt
wurden.
»Letztesmal haben wir zweitausend nutzlose Hinweise
bekommen, sind jedem einzelnen davon nachgegangen, und
geschnappt haben wir ihn letzten Sommer einzig und allein
deswegen, weil er doof genug war, eine Tankstelle in Michigan
zu überfallen, während sich ein Cop dort aufhielt«, brummte
Jack Shore zu Mort Levy, während er voller Abscheu ein Team
von Beamten dabei beobachtete, wie sie die Flut von Anrufen
auf der Sonderleitung entgegennahme n.
Levy nickte geistesabwesend. »Irgendwas Neues über
Siddons’ Freundin?« fragte er Shore.
Eine Stunde zuvor hatte einer der Häftlinge in Siddons’
Zellentrakt einem Wärter erzählt, vorigen Monat habe Siddons
mit einer Freundin namens Paige geprahlt, die, wie er sagte, eine
Striptease-Tänzerin von Weltklasse sei.
Man versuchte gerade, sie in New York aufzuspüren, doch auf
die Eingebung hin, daß Siddons sie vielleicht in Michigan
kennengelernt hatte, war Shore mit den dortigen Behörden in
Kontakt getreten.
»Nein, nichts bisher. Wahrscheinlich wieder nur eine
Sackgasse.«
»Anruf für Sie aus Detroit, Jack«, dröhnte eine Stimme über
das Getöse im Raum hinweg. Beide Männer drehten sich
ruckartig um. In zwei Riesenschritten war Shore an seinem
Schreibtisch und hatte schon das Telefon in der Hand.
Sein Gesprächspartner vergeudete keine Zeit. »Stan Logan,
Jack. Wir haben uns getroffen, als Sie letztes Jahr zu uns
rüberkamen, um Siddons einzusammeln. Ich hab vielleicht was
Interessantes für Sie.«
»Spucken Sie’s aus.«
»Wir konnten bisher nicht rausfinden, wo sich Siddons
versteckt hielt, bevor er den Überfall hier durchzuziehen
versuchte. Der Hinweis auf Paige ist vielleicht die Antwort. Wir
haben hier was im Strafregister über eine Paige Laronde, die
sich als exotische Tänzerin bezeichnet. Sie hat vor zwei Tagen
die Stadt verlassen. Hat einer Freundin erzählt, sie wisse nicht,
ob sie wieder zurückkommt, und sie habe vor, sich mit ihrem
Freund zusammenzutun.«
»Hat sie gesagt, wo sie hinwill?« fragte Shore nur knapp
nach.
»Sie hat gesagt, nach Kalifornien, und von dort nach
Mexiko.«
»Kalifornien und Mexiko! Verflucht, wenn er’s bis nach
Mexiko schafft, dann kriegen wir ihn vielleicht nie.«
»Unsre Leute überprüfen die Bahnhöfe und Bushaltestellen
sowie die Flughäfen, um zu sehen, ob wir ihre Spur aufnehmen
können. Wir halten Sie weiter auf dem laufenden«, versprach
Logan, fügte dann noch hinzu: »Wir faxen gleich ihre Daten und
ihre PR-Fotos rüber. Zeigen Sie die nicht Ihren Kindern.«
Shore knallte den Hörer auf. »Wenn Siddons es geschafft hat,
heute früh aus New York rauszukommen, könnte er jetzt in
diesem Moment schon in Kalifornien oder vielleicht sogar in
Mexiko sein.«
»Es dürfte ziemlich haarig sein, am Heiligabend auf die letzte
Minute noch ein Flugticket aufzutreiben«, gab Levy vorsichtig
zu bedenken.
»Hör mal, jemand hat ihm eine Pistole verschafft. Derselbe
Jemand hatte vielleicht auch schon Klamotten und Bargeld und
ein Flugticket für ihn bereitliegen. Hat’s wahrscheinlich
geschafft, ihn zu einem Flugplatz in Philadelphia oder Boston zu
schaffen, wo keiner nach ihm sucht. Ich geh davon aus, daß er
sich inzwischen schon mit seiner Freundin getroffen hat und daß
die beiden in Richtung Süden jenseits der Grenze unterwegs
sind, wenn sie nicht bereits Enchiladas essen. Und ic h behaupte
nach wie vor, daß auf die eine oder andere Weise Siddons’
Schwester darin verwickelt ist.«
Mit gerunzelter Stirn beobachtete Mort Levy, wie Jack Shore
zum Nachrichtenraum hinüberging, um auf die Faxe aus Detroit
zu warten. Der nächste Schritt war dann, Bilder von Siddons
und seiner Freundin an die Grenzschutzleute in Tijuana
weiterzuleiten und sie dazu aufzufordern, nach ihnen Ausschau
zu halten.
Aber wir müssen trotzdem heute nacht die Kirche im Auge
behalten, auf die Chance von eins zu einer Million hin,
Weitere Kostenlose Bücher