Stille Nacht
Taschen gesteckt, die
Schultern bis zu den Ohren hochgezogen. Es war genau die
gleiche Haltung, wie sie Tom unwillkürlich annahm, wenn er
sich wegen eines Patienten Sorgen machte. Catherine straffte
ihre Schultern und legte den Arm um ihren älteren Sohn,
während sich hinter ihnen die Tür des Studios schloß.
Die Produktionsleiterin sagte: »Unsere Leute am Telefon
danken jedem Anrufer in Ihrem Namen, aber gibt es sonst noch
etwas, wovon Sie gern möchten, daß wir es unserem Publikum
mitteilen?«
Catherine holte tief Luft, und ihr Arm umfaßte Michael fester.
»Ich möchte gern, daß Sie den Leuten folgendes sagen: Wir
glauben, daß mir mein Portemonnaie runtergefallen ist und daß
Brian offenbar der Person gefolgt ist, die es aufgehoben hat. Der
Grund, daß er es so dringend zurückhaben wollte, ist, daß meine
Mutter mir gerade eine Christophorus-Medaille gegeben hatte,
die mein Vater den ganzen Zweiten Weltkrieg hindurch
getragen hat. Mein Vater war überzeugt davon, daß die Medaille
ihn beschützt hat. Sie hat sogar eine Delle, wo eine Kugel davon
abgeprallt ist, eine Kugel, die ihn vielleicht getötet hätte. Brian
hat denselben wunderbaren Glauben, daß der heilige
Christophorus oder das, wofür er steht, wieder seine schützende
Hand über uns hält…, und ich glaub’s auch. Sankt Christophorus
wird uns Brian auf seinen Schultern zurückbringen, und er wird
meinem Mann helfen, wieder auf die Beine zu kommen.«
Sie lächelte zu Michael hinunter. »Richtig, Partner?«
Michaels Augen glänzten. »Mom, glaubst du das wirklich?«
Catherine atmete tief ein. Ich glaube, Gott, hilf meinem
Unglauben ab. »Ja, wirklich«, sagte sie entschieden.
Und vielleicht weil Heiligabend war, glaubte sie es zum
erstenmal wirklich.
15
State Trooper Chris McNally schweifte in Gedanken ab, als
Deidre Lenihan ins Schwafeln darüber geriet, sie hätte eben eine
Christophorus-Münze gesehen, und daß ihr Vater nach Sankt
Christophorus getauft worden sei. Sie war ja eine gutherzige
junge Frau, aber jedesmal, wenn er bei diesem verdammten
McDonald’s hier für einen Kaffee anhielt, schien sie gerade ihre
Schicht zu haben, und ständig wollte sie mit ihm über irgend
etwas Belangloses reden.
Heute abend war Chris in Gedanken zu sehr damit
beschäftigt, bald nach Hause zu kommen. Er wollte wenigstens
noch ein bißchen Schlaf abkriegen, bevor seine Kinder
aufstanden, um ihre ganzen Weihnachtsgeschenke aufzumachen.
Er dachte außerdem über den Toyota nach, den er gerade vor
sich hatte davonfahren sehen. Er hatte selbst schon daran
gedacht, sich einen zu kaufen, obwohl seine Frau ganz sicher
keinen braunen haben wollte. Ein neuer Wagen bedeutete
Monatsraten, um die man sich kümmern mußte. Er bemerkte
noch den Überrest eines Aufklebers auf der Stoßstange des
Toyota, ein einzelnes Wort: Erbschaft. Er wußte, daß der ganze
Text ursprünglich gelautet haben mußte: »Wir hauen die
Erbschaft unserer Enkel auf den Kopf.« Wir könnten eine
Erbschaft gut gebrauchen, dachte er.
»Und mein Vater hat gesagt… «
Chris zwang sich, zur Gegenwart zurückzukehren. Deidre ist
nett, dachte er, aber sie redet zuviel. Er griff nach der Tüte, die
sie in der Hand pendeln ließ, aber es war deutlich zu erkennen,
daß sie noch nicht bereit war, sie loszulassen, nicht, ehe sie noch
erzählt hatte, wie ihr Dad gefunden habe, es sei doch
jammerschade, daß ihre Mutter nicht auf den Namen Philomena
getauft worden sei.
Und sie war noch immer nicht fertig. »Vor Jahren hat mal
meine Tante in Southampton gearbeitet und zur SanktPhilomena-Gemeinde gehört. Als sie die Kirche dann umtaufen
mußten, hat der Pfarrer einen Wettbewerb veranstaltet, um zu
entscheiden, welchen Namen sie wählen sollten und warum.
Meine Tante hat die Heilige Dymphna vorgeschlagen, weil die,
wie sie sagte, die Schutzpatronin der Verrückten war und die
meisten Leute in der Gemeinde nicht ganz bei Trost wären.«
»Also, mich hat man auch nach dem heiligen Christophorus
getauft«, sagte Chris und schaffte es jetzt, die Tüte zu ergattern.
»Fröhliche Weihnachten, Deidre.«
Und es wird Weihnachten sein, bevor ich endlich in diesen
Big Mac reinbeißen kann, dachte er, als er wieder auf den
Thruway fuhr. Mit einer Hand öffnete er geschickt die Tüte,
befreite den Hamburger aus seinem Behälter und biß dankbar
ein großes Stück ab. Der Kaffee würde sich noch gedulden
müssen, bis er wieder bei seinem
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