Stille Nacht
Einsatzposten angelangt war.
Um Mitternacht würde er dienstfrei haben, und dann, dachte
er mit einem zufriedenen Lächeln, war es an der Zeit, sich für
eine Weile aufs Ohr zu hauen. Eileen würde sich bemühen, die
Kinder bis um sechs im Bett zu halten, na, dann viel Glück! Es
hatte letztes Jahr nicht geklappt und würde auch dieses Jahr
nicht klappen, wenn er seine Söhne richtig kannte.
Er näherte sich jetzt der Ausfahrt 40 und steuerte den Wagen
zu der offiziellen Umkehrschleife, von wo aus er ein Auge auf
Verkehrssünder haben konnte. Heiligabend war zwar nichts im
Vergleich zu Silvester, um betrunkene Fahrer zu schnappen,
aber Chris war entschlossen, keinen, der die erlaubte
Geschwindigkeit überschritt oder im Zickzack über die Straße
fuhr, ungeschoren davonkommen zu lassen. Er hatte mehrere
Unfälle miterlebt, bei denen irgendein Betrunkener die Feiertage
für unschuldige Menschen in einen Alp traum verwandelt hatte.
Nicht heute nacht, soweit er es verhindern konnte. Und der
Schnee machte das Fahren inzwischen um so tückischer.
Als Chris den Deckel von seinem Kaffeebecher löste, runzelte
er die Stirn. Eine Corvette, die mindestens hundertdreißig drauf
hatte, brauste die Standspur entlang. Er schaltete sein blaurotes
Blinklicht und die Sirene an, warf den Gang rein, und der
Streifenwagen nahm quietschend die Verfolgung auf.
Bud Folney hörte ohne weitere Regung ruhig und aufmerksam
zu, während eine zitternde Cally Hunter Mort Levy von dem
Fund des Portemonnaies auf der Fifth Avenue berichtete. Sie
hatte darauf verzichtet, sich über ihre Rechte belehren zu lassen,
und nur ungeduldig erklärt: »Das kann nicht länger warten.«
Folney war über die Grundzüge ihres Falls im Bilde: ältere
Schwester von Jimmy Siddons, hatte eine Gefängnisstrafe
verbüßt, weil ein Richter ihr die Geschichte nicht abgekauft
hatte, sie habe angenommen, ihrem Bruder nur dabei zu helfen,
vor einer rivalisierenden Gang zu fliehen, die ihm angeblich
nach dem Leben trachtete. Levy hatte ihm gesagt, Cally Hunter
komme ihm wie einer der Menschen vor, die vom Pech
geradezu verfolgt würden - aufgezogen von einer schon recht
alten Großmutter, die dann starb und ihr die Aufgabe überließ,
ihren mißratenen jüngeren Bruder auf den rechten Weg zu
bringen, obwohl sie selbst noch ein halbes Kind war; und
während ihrer Schwangerschaft war ihr Mann bei einem
Verkehrsunfall mit Fahrerflucht getötet worden.
Um die Dreißig, dachte Folney, und könnte hübsch sein, wenn
sie etwas mehr Fleisch auf den Rippen hätte. Sie hatte noch
immer diese Blässe und den gehetzten Gesichtsausdruck, wie er
sie an anderen Frauen bemerkt hatte, die im Gefängnis gewesen
waren und die Furcht mit sich herumschleppten, eines Tages
wieder dorthin zurückgeschickt zu werden.
Er sah sich um. Die ordentliche Wohnung, die sonnige gelbe
Farbe auf den rissigen Wänden, der wacker dekorierte, aber
mickerige Weihnachtsbaum, die neue Bettdecke in dem
ramponierten Puppenwagen, das alles erzählte ihm etwas über
Cally Hunter.
Folney wußte, daß Mort Levy ebenso wie er selbst darauf
brannte, herauszufinden, welchen Zusammenhang zwischen
Siddons und dem vermißten Dornan-Kind Hunter ihnen wohl
liefern könnte. Er billigte Morts sanfte Vorgehensweise. Cally
Hunter mußte es auf ihre eigene Weise erzählen. Wie gut, daß
wir nicht den tobenden Bullen mitgenommen haben, überlegte
Folney. Jack Shore war ein guter Detective, aber seine
aggressive Art ging Folney häufig auf die Nerven.
Hunter sprach gerade davo n, wie sie das Portemonnaie auf
dem Bürgersteig entdeckt hatte. »Ich hab es, ohne mir was dabei
zu denken, aufgehoben. Ich hab mir zwar gedacht, daß es
wahrscheinlich dieser Frau gehört, war mir aber nicht sicher.
Ganz ehrlich, ich war mir nicht sicher«, platzte es aus ihr heraus,
»und ich hab mir dann gedacht, wenn ich es ihr zurückgeben
würde, dann behauptet sie vielleicht, daß was daraus fehlt. Das
ist nämlich meiner Großmutter passiert. Und dann schicken Sie
mich wieder ins Gefängnis, und… «
»Cally, immer mit der Ruhe«, sagte Mort. »Was ist als
nächstes passiert?«
»Als ich nach Hause kam… «
Sie erzählte ihnen, wie sie Jimmy, der bereits die Sachen ihres
verstorbenen Ehemanns angezogen hatte, in der Wohnung
vorfand. Sie deutete auf das große Päckchen unter dem Baum.
»Die Uniform des Gefängniswärters und der Mantel sind da
drin«, erklärte sie. »Es war das
Weitere Kostenlose Bücher