Stille Seele (German Edition)
protestieren, aber Jakob bedeutete ihr still zu sein. „Wir haben alles versucht, Julie. Es gibt keine andere Lösung!“ Er küsste sie zärtlich und hielt sie dann lange in den Armen.
„Du musst wiederkommen! Ich kann das nicht ohne dich!“
Jakob nickte unsicher. „Ich bin mir nicht sicher, ob du mich dann noch willst. In der Zwischenzeit kommen vielleicht ein paar weniger gestörte Männer nach Marble Hills und ich habe gehört, dass die M anieren ziemlich leiden unter den Bedingungen im Knast! Also …!“ Er zuckte traurig mit den Schultern.
„Du bist ein Spinner!“ Sie lächelte schwach. „Natürlich warte ich auf dich!“
„Ich werde dich daran erinnern!“
„Du musst das nicht tun, Jay! Ich würde das hier mit dir durchzi ehen!“
„Ich weiß!“ Er küsste sie zärtlich und wiederholte leise: „Ich weiß!“
20. August 2008, Marble Hills, Haus der Blekers
Jakob hielt den Wagen auf der unbefestigten Auffahrt des Hauses und seufzte tief. Sein Blick glitt zum Beifahrersitz hinüber, wo Julie leicht zusammengesackt schlief. Er war die ganze Nacht durchgefa hren. Zum einen, weil er Julie überraschen wollte, zum anderen, weil er Angst hatte, sein Entschluss könnte sich weiter aufweichen. Es waren bereits drei Tage vergangen und Jakob spürte, wie die Überzeugung, das Richtige zu tun, nachließ.
Leise schnallte er sich ab und stieg aus. Er lehnte die Autotür nur an, um Julie nicht zu wecken, und ging langsam zum Haus herüber. Der Kies knirschte unter seinen Füßen und der vertraute Geruch za uberte ein Lächeln auf Jakobs Gesicht. Die Sonne ging langsam auf und Jakob setzte sich schwer auf die unterste Stufe der Veranda. Vor fünf Jahren hatte er so auf der Veranda seiner Eltern gesessen und sich genau wie jetzt nicht getraut, zu klingeln.
„Du bist durchgefahren!“ Julie war ausgestiegen, setzte sich neben ihn und kuschelte sich eng an ihn. „Was machst du hier? Warum hast du mich nicht geweckt?“
Er gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze und streichelte die zarte Haut ihres Halses. „Ich brauchte etwas Zeit für mich. Zum Nachdenken.“ Er lächelte kläglich. „Ich hätte nie gedacht, dass ich vergesse, wie mein Zuhause riecht. Es war die ganze Zeit in Afghanistan etwas, woran ich mich festgehalten habe, und jetzt erinnere ich mich nicht mehr!“
„Vielleicht, weil das hier jetzt dein Zuhause ist!“
Jakob wischte sich unbeholfen mit dem Ärmel über die feuchten Augen. „Vielleicht!“
„Ich würde gerne reingehen und Dad sehen! Was sagst du?“
„Ja, du solltest gehen.“
Sie blickte ihn verständnislos an. „Du kommst doch mit rein, um ihm Hallo zu sagen? Du hast noch Zeit, ehe du gehen musst!“
Jakob streckte sich und stand dann auf. „Nein, Julie, wenn ich jetzt nicht gehe, schaffe ich es gar nicht mehr. Ich will mir wenigstens den Stolz erhalten, mich selbst zu stellen, und ich will versuchen, meine Eltern vorher noch einmal zu sehen.“
Jakob hörte, wie Julie aufschluchzte und spürte, wie sich sein M agen schmerzhaft zusammenzog. Mit aller Kraft konzentrierte er sich darauf, an seinem Entschluss festzuhalten.
„Wir könnten zusammen gehen. Ich könnte für dich aussagen. Dich besuchen! Solange in Amerika bleiben!“
„Nein!“ Jakobs Stimme klang kraftlos. „Nein, Julie!“ Bestimmt machte er sich von ihr los. „Ich muss das alleine durchziehen. Ich will nicht, dass du mich so siehst und dass du da mit reingezogen wirst!“ Mit einer verzweifelten Innigkeit küsste er sie, drehte sich dann abrupt um, stieg in Caspers Wagen und fuhr davon.
20. August 2008, Marble Hills, Caspers Haus
Das Tuckern des Dieselmotors verebbte jäh, als Jakob den Schlü ssel drehte und aus dem Zündschloss zog. Er atmete tief durch und schloss für einen Augenblick die Augen. Dann gab er sich einen Ruck und quälte sich aus dem Wagen. Es war dunkel im Haus.
Natürlich war es das. Es war Samstag und das bedeutete, Casper würde niemals vor elf Uhr vormittags aufstehen, weil er mit Sicherheit gestern gefeiert hatte. Ein trauriges Lächeln huschte über Jakobs G esicht. Sein Blick viel auf die eigene unleserliche Handschrift auf dem zerknitterten Zettel in seiner Hand. Casper hatte sich jedes Mal darüber aufgeregt, was für eine Sauklaue er hatte, wenn sie zusammen zum Supermarkt gefahren waren, um Einkäufe für Partys oder die Bar zu erledigen.
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