Stille Seele (German Edition)
gegenseitig an die Gurgel zu gehen. „Ich habe Hunger, möchtest du auch etwas?“ Er deutete auf eine Tankstelle mit angeschlossenem Diner.
„Nein, danke!“
Jakob hielt den Wagen auf dem Parkplatz, warf einen Blick auf die noch halbvolle Tankanzeige und nickte einigermaßen zufrieden. Dann wandte er sich Julie zu. „Wann hast du das letzte Mal gegessen? Du hast abgenommen!“ Zärtlich strich er ihr über das hervorstehende Jochbein. „Bitte!“
Sie nickte widerwillig und strich ihm kurz über die Hand. Dabei f ixierte sie einen unsichtbaren Punkt am Horizont. „Ein Brötchen?“
Jakob nickte, zog seine Hand zurück und stieg aus.
17. August 2008, westlich British Columbia
Die Träume waren wieder schlimmer geworden, seitdem Jakob in ständiger Angst lebte, entdeckt zu werden. Mit dem Auftauchen von Mr. Flynn war sein Leben in sich zusammengestürzt und mit ihm die Mauer, die die Bilder und seine Psychosen in Schach gehalten hatte. Meistens schlief er tagsüber, wenn Julie fuhr und ihm die Musik im Radio und Julies Stimme, die dazu sang, das Gefühl gaben, beschützt zu sein. Nachts hingegen, wenn die ständig wechselnden Motelzi mmer in tiefe Dunkelheit getaucht waren und nur der leise Atem von Julie vermuten ließ, dass sie überhaupt noch da war, schreckte Jakob immer wieder schweißgebadet aus wirren Traumsequenzen auf. Oft vermied er es, sich überhaupt hinzulegen. Julie bemerkte es, das sah er an ihrem besorgten Blick und den häufigen Anspielungen.
Jakob lag mit offenen Augen in der Dunkelheit und fragte sich zum wiederholten Mal, ob die Tür auch richtig verriegelt war. Er wusste, dass sie es war, immerhin hatte er es schon zweimal kontrolliert, aber der Impuls, erneut aufzustehen und nachzusehen, arbeitete beständig in ihm. Unruhig drehte er sich auf die Seite und konzentrierte sich darauf, Julie zu betrachten. Das fahle Mondlicht erhellte Teile von ihr. Zärtlich strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Jakob hatte nicht die Absicht gehabt, sie zu stören, aber seine Berührung weckte sie. Schläfrig blinzelte sie ihn an und strich ihm dann liebevoll über die Bar tstoppeln.
„Du bist aufgewacht?“ Sie flüsterte, obwohl niemand durch ihre Stimme gestört worden wäre.
„Ich habe noch gar nicht geschlafen!“ Jakob legte Julie seine Hände an die Wange und spürte, wie Tränen sein Gesicht hinabliefen.
„Was ist los, Jay?“ Ihre Stimme klang noch immer schläfrig, aber liebevoll und ehrlich besorgt.
„Was tun wir hier eigentlich?“
„Wir versuchen, zusammenzubleiben! Du musst schlafen!“ Zärtlich fuhr sie ihm mit der Hand durch die Haare und öffnete dann ihre A ugen.
Jakob schluckte schwer. „Der Preis ist zu hoch!“
„Nein, ist er nicht!“
„Hör mir bitte zu. Ich liebe dich und gerade deshalb geht es so nicht mehr weiter. Dir geht es schlecht. Mir geht es schlecht und wie es deinem Vater geht, möchte ich gar nicht wissen. Es war Wahnsinn, anzunehmen, dass das hier klappen könnte. Es geht nicht mehr!“
„Nein!“ Julie klang atemlos, betäubt, und noch etwas schwang in ihrer Stimme mit und gab Jakob die Gewissheit, das Richtige zu tun – unausgesprochene Dankbarkeit.
„Wenn wir so weitermachen, gibt es bald kein Wir mehr. Wir en tfernen uns voneinander und das macht mir Angst.“ Er holte tief Luft. „Will war in meiner Zeit in Marble Hills wie ein Vater für mich. Er braucht dich jetzt. Ich habe dich angelogen – na ja, vielleicht habe ich dir nur die Tatsachen verschwiegen, aber es läuft auf das Gleiche hinaus. Ich war nicht ehrlich zu dir und das ist das Einzige, was ich will. Ehrlich sein und dich lieben dürfen.“ Jakob schloss seine Augen. „Ich habe Will heute Morgen angerufen. Es geht ihm nicht gut, Julie! Stan ist rangegangen. Er hatte einen Unfall mit dem Wagen, oben beim Camp. Stan hat versucht, mich zu beruhigen und vielleicht stimmt es, dass es halb so schlimm ist, aber Tatsache ist, dass er dich braucht. Es geht ihm schlecht und Stan auch. Dieser Unfall wäre nicht passiert, wenn du bei ihm gewesen wärst!“ Er seufzte und fügte hinzu: „Wir können nicht mehr so weitermachen, Jules!“
„Und was ist mit uns?“ Ihre Stimme war kaum mehr vernehmbar und Tränen liefen ihre Wangen hinab.
„Ich werde meine Eltern besuchen und mich dann stellen. Ich kann dir nicht sagen, was dann wird, aber es ist an der Zeit, endlich abzuschließen und wenn das Gefängnis der Weg ist, dann muss ich das akzeptieren!“
Julie wollte
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