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Stille Seele (German Edition)

Stille Seele (German Edition)

Titel: Stille Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Lastella
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gekommen war. Sie hatten den COB-Code widerrufen. Keine Zivilisten mehr im Kampfgebiet. Es würde also keine Rücksicht mehr auf zivile Kollateralschäden genommen werden, aber das waren Zivilisten. Jakob sah es deutlich vor sich. Im Wageninneren befanden sich halbstarke Jugendliche. Jünger als er selbst. Allem Anschein nach hatten sie das Auto geklaut, denn sie feixten und lachten in der Kabine. Beglückwünschten sich zu ihrem Coup, und ihr Fahrstil wirkte sehr unbeholfen. Der Volkswagen fuhr in Schlangenlinien über die Straße.
    Das leise mechanische Surren der automatischen Zielerfassung des Panzers drang zu Jakob durch. Er spürte Panik in sich aufsteigen. Mein Gott, das kann nicht deren Ernst sein!
    „Das sind nur Kinder. Die schießen gleich auf Kinder!“, brüllte Jakob. Seine Stimme überschlug sich. Er sprang auf, stolperte und fiel wieder hin. Seine Beine waren vom langen Liegen taub. „Los, ihr Idioten, die Basis, wir müssen Corwell anfunken. Die dürfen nicht schießen!“ Fahrig überwand er die Meter bis zum Funkgerät.
    Keiner der anderen rührte sich auch nur einen Millimeter. Sie sahen ihn an, als hätte er seinen gottverdammten Verstand verloren, wirkten vor Angst erstarrt und unfähig, die Situation zu begre ifen.
    „Die Frequenz? O’Leary, die Frequenz … schnell!“ Doch bevor O‘Leary antworten konnte, erklang das atonale, dumpfe Donnern vom Panzergeschütz. Jakob hatte das Gefühl, als würde die Welt im Nac hbeben des Knalls einen Moment still stehen. Dann erreichten die Vibrationen die Düne. Er warf sich auf den harten Untergrund und suchte hektisch mit seinem Visier die Wüste nach dem Auto der Teenager ab. Das waren Jungs in seinem Alter. Jungs, die in den Staaten für so etwas eventuell mit Sozialarbeit bestraft worden wären. Jungs wie er einer gewesen war, bevor er Jabehill verlassen hatte. Er sah sie nicht mehr. Nur noch ein brennendes Wrack, das langsam rückwärts rollte. Die drei Soldaten, die sich am dichtesten am Fahrzeug befunden hatten, rückten mit ihren Gewehren im Anschlag näher. Ein brennender Junge taumelte aus dem Wrack. Jakob konnte seine Schreie bis zu ihrer Plattform herauf hören. Unwillkürlich stellten sich seine Nackenhaare auf. Geschockt beobachtete Jakob noch immer die Szene, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen oder den Blick abzuwenden. Der Junge rollte sich auf dem Boden herum. Teile seiner Kleidung brannten und verschmolzen mit seiner zerstörten Haut. Er zuckte, sein Gesicht verzog sich gepeinigt, während er die Hände hilfesuchend nach den Soldaten ausstreckte, die keinerlei Anstalten machten etwas zu unternehmen. Jakob sah, wie sich der Junge ein letztes Mal aufrichtete, um dann leblos nach hinten zu sacken, und unterdrückte mühsam ein Würgen. Er warf sein Gewehr zu Boden, erschrocken über sich selbst und den Gedanken an einen Gnadenschuss, der für den Bruchteil einer Sekunde durch sein Gehirn gezuckt war. Er wusste nicht, was schlimmer war, dass er es hatte tun wollen oder dass er dem Jungen, ganz nach Befehl, die Erlösung verwehrt hatte. Sie alle hätten das verhindern müssen. Das und so viele andere Dinge, die hier passiert waren und noch passieren würden. Wütend trat er mehrmals gegen das Holz der Paletten, schrie und unterdrückte verbissen den Wunsch zu weinen. Er ignorierte die entsetzten Gesichter seiner Kameraden und nutze die Decke aus Schweigen, die seit ihrer Ankunft über diesem Lager lag, um sich darin einzuhüllen.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    6. Februar 2005, Kandahar Airfield, Afghanistan
     
    Mit einem Seufzen betrachtete Jakob das karge Rollfeld. Nach seinem Einsatz in Tarin Kwot war er für seinen Jahresurlaub in die Staaten geschickt worden. Auch wenn er wusste, dass er es spätestens bereuen würde, wenn er wieder hier war, hatte er seine Eltern nicht besucht. Die meiste Zeit hatte er in Kalifornien verbracht. Die Tage am Strand, die Nächte in Bars und Kneipen. Es war gut, das Nachtleben zu genießen nach all den Monaten der Entbehrungen, aber es war nie mehr als oberflächliche Ablenkung. Oberflächlicher Sex, oberflächliche Gespräche, eine Zeit ohne Tiefgang, ohne auch nur ein ernstes Gespräch oder den Versuch, mehr als seinen Namen von sich preiszugeben. Sie hatten drei Monate Zwischenstation in Ramstein eingelegt und Jakob hatte mehrmals mit seiner Großmutter telefoniert.
    Für einen

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