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Stille Seele (German Edition)

Stille Seele (German Edition)

Titel: Stille Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Lastella
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strich Connors Haare aus dem blassen Gesicht und gab ihm einen Kuss auf die kalte Haut seiner Stirn. „Ich habe dich doch gerettet!“ Jakob fing wieder an zu weinen, während er den toten Körper unbeirrt an sich drückte. Immer wieder flüsterte er: „Es ging dir besser. Es ging dir doch besser, verdammt!“
    Die Kälte des Wassers ließ seinen Körper erzittern, aber er ignorie rte es. Tränen vermischten sich mit Blut, Wasser und der Frage, ob man für einen Menschen verantwortlich ist, dem man das Leben gerettet hat. Eines wusste Jakob sicher, für Connor war er verantwortlich gewesen, einfach, weil er sein bester Freund gewesen war, und er hatte kläglich versagt.
     
    Während der anschließenden Fahrt zu Torres‘ Frau und dem kurzen Gespräch mit ihr, in dem er ihr den Brief überreichte und versuchte, ihre Fragen so gut und schonend wie möglich zu beantworten, kreisten Jakobs Gedanken die ganze Zeit um Connor, dessen lebloser Körper noch immer in dem kleinen Motel-Zimmer lag. Er hatte ihn auf das Bett gelegt und ihn dann mit dem schweren Bettüberwurf bedeckt. Jakob musste dringend die Polizei rufen, sobald er zurück war. Wahrscheinlich wäre es sogar klüger gewesen, sie sofort zu rufen, noch bevor er das Wasser aus der Wanne gelassen und den Körper vom Todesort entfernt hatte, aber er hatte Zeit zum Nachdenken gebraucht. Jetzt hatte er wenigstens den Brief abgegeben und konnte sich darauf konzentrieren, was nun zu tun war.
    Während Jakob durch die Abenddämmerung fuhr, überkam ihn ein unbändiges Gefühl von Verlust und Einsamkeit. Er biss sich auf die Unterlippe und krampfte die Kiefer fest aufeinander. Wenn er erst einmal anfangen würde zu weinen, da war Jakob sich sicher, würde er nicht wieder aufhören können. Das Weiße seiner Knöchel, die das Lenkrad umkrampften, trat deutlich hervor und erinnerte Jakob an die gespenstische Blässe von Connors Haut. Jakob schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Connor hatte ihm ein Versprechen abgeno mmen. Er wollte nach Hause, wenigstens im Tod nicht mehr auf der Flucht sein. Diesen letzten Wunsch würde Jakob ihm gewähren, auch wenn er selbst nicht mitkommen konnte. Es ging nicht, er musste Connor im Stich lassen, konnte ihm nicht die letzte Ehre erweisen. Ob das auch einer der Gründe für Connor gewesen war, diesen endgültigen Schritt zu tun? Das Militär wusste noch nichts von ihren Plänen. Er würde als Held und nicht als Verräter verabschiedet werden.
    Die Scheinwerfer seines Wagens streiften die Umzäunung des M otel-Parkplatzes und erloschen, als Jakob den Motor abstellte. Für einen Moment blieb er unschlüssig sitzen. Es war unheimlich, dieses Zimmer zu betreten, es machte Jakob Angst, erneut mit der Endgültigkeit der Tatsachen konfrontiert zu werden. Mühsam schälte er sich aus dem Fahrersitz, schlurfte auf Zimmer sieben zu und verschwand zögernd hinter der Tür.
    Er verabschiedete sich von Connor, indem er sich eine ganze Weile im Halbdunkeln neben ihn auf den Boden setzte und sich stumm mit ihm unterhielt, ohne den Überwurf anzuheben und Connors Frieden dadurch zu stören. Weit nach Einbruch der Dunkelheit stand er schließlich auf, zog die Tür hinter sich zu und fuhr davon. Erst hinter Irving zog er sein Handy aus der Hosentasche und rief die Polizei. Jakob nannte seinen Namen nicht, nur die Adresse des Motels und die von Connors Eltern in Lincoln. Connor würde zuhause seinen Frieden finden und Jakob würde alles geben, um seinen zu suchen.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    18. Juli 2005, Einreise Kanada, Calgary, Alberta
     
     
    Noch drei Menschen trennten Jakob von seinem neuen Leben. Eine junge Frau, die unter der Last ihres überdimensioniert wirkenden Wanderrucksacks fast zusammenbrach, ein älterer Herr in einem fein gearbeiteten Anzug, der außer ein wenig Handgepäck nichts bei sich trug und ganz offensichtlich genauso genervt von der Warterei war wie Jakob selbst, und ein junger, alternativ wirkender Mann. Er war vielleicht fünfundzwanzig, nur unwesentlich älter als Jakob selbst, und kaute gelangweilt auf einem Kaugummi herum, während ihm seine verfilzten Locken ins Gesicht fielen.
    Jakob schubste seinen Matschsack und seine Reisetasche mit dem Fuß über den blanken Fliesenboden des Flughafens, als sich die Schlange weiter Richtung Schalter bewegte. Die junge Frau verstaute eben ihren Pass in einem Brustbeutel, als die uniformierte Beamtin ihr – wie schon Tausenden

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